Wege in die Menschenweihehandlung

AutorIn: Ulrich Meier

VII. Erneuerung durch Taten und Worte

Mitten im Wandlungsgeschehen des Abendmahlsgottesdienstes wird die Gemeinde in die Erinnerung des Abschiedsmahls gerufen, das Jesus am Gründonnerstag mit seinen Jüngern gehalten hat. Darauf haben wir im Zusammenhang mit dem sogenannten Einsetzungsbericht im vorigen Beitrag geblickt. Aber mit dem Mahl selbst war das Geschehen im Coenaculum noch nicht abgeschlossen. Es gehörte zur Tradition des Seder-Mahls, dass sich die Tischgemeinschaft im Anschluss an die Feier mit erinnernden Worten der Schicksale des Gottesvolks bewusst wurde – vom Bunde Gottes mit den Menschen über die Sehnsucht nach dem Beistand Gottes auf der Wüstenwanderung bis hin zur Erwartung der Ankunft des Messias im gelobten Land. Über mehrere Kapitel hin bezeugt das Johannesevangelium in den sogenannten Abschiedsreden Jesu (Joh 14–17), wie diese Motive in einer tiefgründigen Erneuerung des alten Brauchs durch Jesus aufgegriffen und zu einer umfassenden Verkündigung der Einheit Gottes mit den Menschen verwandelt werden.
Anders als in der römischen Messe wird in der Menschenweihehandlung im Anschluss an die Einsetzungsworte eine liturgische Rede Christi eingefügt, die weder als Zitat aus einem der Evangelien zu erkennen ist, noch als eine vollständige Neuschöpfung verstanden werden muss. Vielmehr klingen in dieser neuen Komposition Motive an, die teils an Evangelienworte, teils an Elemente der Messe anknüpfen. Darin lassen sich drei Schritte erkennen: der neue Bund Gottes mit den Menschen, das neue Bekenntnis und der neue Glaube, die Verwandlung des menschlichen Denkens durch die Einwohnung Christi.

Der neue Bund
Bereits bei der Wassertaufe, die Johannes an den Suchenden im Jordan vollzieht, schließen sich an die erweckende Tat Momente der Wort­verkündigung an, die uns als Täuferpredigten vertraut sind. Erst erlebten die Menschen einen Lebensvollzug, danach ergibt sich ein verstehendes Verarbeiten, durch das sie sich das Taufgeschehen aneignen und in ihren Alltag überführen können. Auch an viele Heilungen und Zeichentaten Jesu Christi schließen sich Predigten oder Dialoge mit den Geheilten bzw. den Umstehenden an. Auf dieselbe Weise wurden und werden an die weckenden und heilenden Handlungen, die das Abschiedsmahl in die Mitte der Abendmahlsgemeinde stellt, Worte angefügt. In der Menschenweihehandlung gehen ihnen die stummen Vollzüge der drei Segenskreuze voran, die der Priester über Brot und Kelch zeichnet. Dann heißt es zunächst schlicht: »Und Er fuhr fort ...« Folgen wir dem Evangelisten Lukas und der römischen Messe, dann erscheint der »neue Bund« im Zusammenhang mit dem Wort über den Kelch: »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird!« (Lk 22,20). Christus erneuert den Bund, den der Gott Israels mit Abraham geschlossen hat (1. Mose 17) und dessen Zeichen die Beschneidung alles Männlichen war. Er setzt als Zeichen des neuen Bundes das Abendmahl ein – und damit sich selbst. Nicht mehr die Erinnerung an den einmal geschlossenen Bund der Vorväter, der im stummen Zeichen der Beschneidung sichtbar bleibt, sondern die jeweils neu gefeierte geistig-leibliche Verbindung mit Leib und Blut des Auferstandenen wird zum Zeichen der Gemeinschaft von Gott und Mensch. In der Menschenweihehandlung wird gesagt, dass »mit diesem Worte« den Menschen »das Göttliche wieder gegeben« wird – ein neuer Bund, bei dem wir Empfangende eines Göttlichen werden, das die Menschwerdung Christi mit der Christwerdung des Menschen vereint.

Der neue Glaube und das neue Bekenntnis
Als mittlerer Teil der Rede Christi nach den Einsetzungsworten wird das Bild des Gekreuzigten aufgerichtet – aus der Perspektive des Gründonnerstagabends ein Vorblick auf den Karfreitag. Es erinnert in seinen Elementen an die Imagination, die Nikodemus vorbereitend in der nächtlichen Unterweisung von Jesus empfangen hat: »Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben habe« (Joh 3,14–15). Dass die Erhöhung Jesu Christi am Kreuz und der Aufblick der Menschen zum Gekreuzigten etwas Heilendes für die Menschen und ihre Sündenkrankheit bedeutet, wird an diesem Vergleich mit der Episode aus der Zeit der Wüstenwanderung erkennbar. Die Worte der Menschenweihehandlung sprechen hier vom Leib am Kreuz, der das neue Bekenntnis trägt, und vom Blut, in dem der neue Glaube vom Kreuz fließt. Der dadurch vermittelte Anblick von Leib und Blut des Gekreuzigten lässt unmittelbar das Christusopfer sichtbar werden, aus dem das Heil von Mensch und Welt hervorgeht. Aber es wird in der Verbindung von Leib und Bekenntnis sowie von Blut und Glaube noch etwas hinzugefügt, was bereits im Strom von Evangelien- und Messetradition vorbereitet ist: Der »neue Glaube« kann als eine Verbindung zwischen Gott und Mensch verstanden werden, die – wie Rudolf Steiner es einmal ausgesprochen hat – »... so groß ist wie dasjenige, was die Blutsverbände in uns bewirken können ...«. In der römischen Messe findet sich als eine Art Einfügung bei den Einsetzungsworten, die den Kelch betreffen, ein kurzes »mysterium fidei« (Geheimnis des Glaubens), das diesen Zusammenhang ebenfalls nahelegt. Das »neue Bekenntnis« kann darin erlebt werden, dass aus dem Erkennen des Christusopfers eine Haltung der Christen erwachsen kann, sich zu dem »Gesehenen« zu stellen, indem in der Nachfolge Christi das »sein Kreuz auf sich nehmen« (z.B. Lk 9,23) zu einem täglichen und tätigen Bekenntnis wird. Als eine überraschende Wendung kann in dem Gesamtbild erlebt werden, dass Bekenntnis und Glaube hier im Tragen des Leibes und im Fließen des Blutes Christi als göttliche Taten genannt werden. Wie sich der Übergang von Gottesbekenntnis und Gottesglauben an den Menschen vollziehen kann, wird vielleicht am Weg des menschlichen Denkens anschaulich, der die genannte Rede beschließt.

Das neue Denken
Am Ende der Christusworte nach dem Einsetzungsbericht heißt es in der Menschenweihehandlung wiederum sehr schlicht: »Nehmet dieses auf in Euer Denken«. Dieser Ausspruch kann als Variante des »in mei memoriam facietis« der römischen Messe bzw. des »Tut dies zu meinem Gedächtnis!« nach Lukas 22,19 gesehen werden, das dort im Zusammenhang mit den Einsetzungsworten beim Brot genannt wird. Die Menschenweihehandlung spricht aber nun in zwei weiteren Schritten davon, was sich durch dieses Aufnehmen im Menschen als fortwirkender Prozess ereignen kann. Der vom Menschen zu leistenden Aktivität des Aufnehmens folgt die Anerkenntnis, dass das Aufgenommene einen Lebensvorgang ermöglicht. Der Priester spricht, bevor er das neue Bekenntnis und den neuen Glauben in eigener Rede wiederholt: »So lebe in unsern Gedanken ...« Was wir in unser Denkvermögen eingefügt haben, entfaltet nun in uns Leben. Im dritten Schritt erscheint dieses in uns wirksame Lebendige als Subjekt des weiteren Vollzugs, indem die Worte erklingen »So denket in uns ...«. Was uns gewöhnlich nur als unsere subjektive Tat erscheint, das Denken, wird hier als Wesen genannt, das in uns tätig wird. Christi Leidenstod, Auferstehung und Offenbarung bleiben nicht mehr Objekte der Betrachtung, sondern entfalten als »Denkende« ihre segnende und heilende Kraft, indem sie die Trennung von Welt und Beobachter bzw. Handelndem aufheben. Wir sind in diesem Augenblick des Wandlungsgeschehens nicht mehr nur Empfangende, sondern werden mit unserer Empfängnis Beteiligte an der schöpferischen Erneuerung von Mensch und Welt.