Josefs Beitrag zum Menschwerden: Wie hat er das Neue aufgenommen?

AutorIn: Johanna Hopp

Das Matthäusevangelium beginnt mit den Worten Buch des Werdens Jesu Christi … In den an diese Wendung anschließenden Schilderungen des ersten Kapitels wird Josef als einer namentlich genannt, dem bei diesem Werden eine entscheidende Rolle zukommt. Daraus ergeben sich folgende Fragen, denen in diesem Beitrag nachgegangen werden soll: Welche Aufgabe hat er? Was empfängt er? Was gibt er als Gabe an die Menschheit weiter? Was sagt uns sein Beitrag zum Werden der Menschheit heute?

 

In einem Pfingstvortrag beleuchtet Rudolf Steiner am 15. Mai 19101 die Situation am Beginne des Matthäusevangeliums folgendermaßen:

Nun war aber durch den Christus-Impuls eine neue Anschauung gekommen, eine Anschauung, dass dieser Geist, von dem man früher gesprochen hat, dieser Volksgeist abgelöst werden sollte von einem ihm zwar verwandten, aber viel höher wirkenden Geist, von einem solchen Geiste, der sich verhält zu der ganzen Menschheit, wie sich der alte Geist verhalten hat zu den einzelnen Völkern. Dieser Geist sollte der Menschheit mitgeteilt werden und sie erfüllen mit der inneren Kraft, die da sagt: Ich fühle mich nicht mehr bloß angehörig einem Teile der Menschheit, sondern der ganzen Menschheit; ich bin ein Glied der ganzen Menschheit, und werde immer mehr ein Glied dieser ganzen Menschheit sein! – Diese Kraft, die also ausgoss das allgemein Menschliche über die ganze Menschheit, schrieb man dem Heiligen Geist zu. So erhöhte sich der Geist, der sich aussprach in der Kraft, welche vom Volksgeist in die Mütter floss, vom Geist zum Heiligen Geist. Derjenige, der den Menschen die Kraft bringen sollte, das allgemein Menschliche immer mehr und mehr im Erdendasein auszubilden, der konnte nur wohnen als der Erste, in dem Leibe, der vererbt war im Sinne der Kraft des des Heiligen Geistes. Dies aber empfing als Verkündigung die Mutter des Jesus.

Und im Sinne des Matthäus-Evangeliums hören wir, wie bestürzt Josef ist – von dem uns gesagt wird, er sei ein frommer Mann, das heißt aber im Sinne des alten Sprachgebrauches ein solcher, der nur glauben konnte, wenn er einmal ein Kind haben werde, dann werde es heraus geboren sein aus dem Geiste seines Volkes –, als er erfährt: die Mutter seines Kindes ist erfüllt, ist »durchdrungen«, denn so hat das Wort seine richtige Bedeutung in unserem Sprachgebrauch, von der Kraft eines Geistes, der nicht bloß Volksgeist ist, sondern der Geist der allgemeinen Menschheit! Und er glaubt nicht, dass er mit einer Frau Gemeinschaft haben könnte, die ihm ein Kind gebären könnte, das in sich trägt den Geist der ganzen Menschheit und nicht den Geist, zu dem er in seiner Frömmigkeit gehalten hat. Da wollte er sie denn, wie gesagt wird »heimlich verlassen«. Und erst nachdem ihm auch aus den geistigen Welten eine Mitteilung gegeben war, die ihm Kraft gab, konnte er sich entschließen, einen Sohn zu haben von der Frau, die durchdrungen und erfüllt war von der Kraft des Heiligen Geistes.

 

In der Menschenweihehandlung zur Weihnachts-Mitternacht erklingt diese Botschaft jedes Jahr neu als der Anfang des Matthäus­evangeliums. In der dunklen Zeit nach der Wintersonnenwende, in der zugleich tiefsten und höchsten Stunde der Nacht, dringt es einmal im Jahr an unser Ohr. Es ist der Anfang des gesamten Evangeliums, der da verkündet wird. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf es, diese einmal gehörten Worte in den weiteren Verlauf des Jahres mitzunehmen. Versuchen wir, dieses Evangelium innerlich wach aufzunehmen, verlangt es von unserer Seele zu Beginn schon einen langen Atem. Genannt werden die Namen derer, die in den vielen Generationen Josef und schließlich Jesus Christus vorangingen.

Aus diesem Strom der Vergangenheit werden wir daraufhin an die besondere Dramatik im Umkreis des Geburtsgeschehens Jesu herangeführt. Wir werden also Schritt für Schritt mitgenommen in diesen Werdeprozess. Die Geburt des Kindes geschah so: Verlobt waren Maria und Josef und ehe sie sich eines Zusammenseins bewusst waren, hatte Maria ein Kind empfangen vom Heiligen Geist.

Josef überkam daraufhin Bestürzung. Er konnte nicht fassen, was geschehen war, und wollte Maria in Stille entlassen. In diese Gedankenbewegungen hinein erschien ihm der Engel, der Bote aus der geistigen Welt. Er ermutigt ihn, gibt ihm Kraft, lässt ihn träumend durchschauen, was sich hier zugetragen hat, und gibt ihm schließlich einen Auftrag. Er wird aufgefordert, dem Kind den Namen zu geben, der seinem Zukunftsauftrag entspricht. Josef wird damit die Kraft verliehen, eine Weisheit auszusprechen, er wird zum Jos-eF (eF = »Wisse, dass ich weiß« R. Steiner).

Weiter wird, wie in einem dritten Akt, geschildert, welche Auswirkung dies für die Zukunft haben wird. Als er vom Traum erwachte, ist sein Inneres so tief berührt worden, dass er Maria zu sich nimmt: er tut, was ihm der Engel verkündet hat. Er erinnerte sich im wachen Tagesbewusstsein an die empfangene Botschaft, schenkt ihr Glauben, vertraut auf sie. Doch er »erkannte« (griech.: ginoskein) Maria nicht, war sich eines Zusammenseins mit ihr nicht bewusst, bis sie das Kind, den Sohn gebar. Jetzt spricht er den Namen, das Wort aus, das ihm aus der Botschaft des Engels anvertraut war: Jesus (der Heiler, Retter). Dies wird in wenigen Sätzen beschrieben, wir sind als Hörer aufgefordert, rasch dem Ausgesprochenen zu folgen.

 

Was können wir heute aus diesen Worten herauslesen, heraushören? In der Adventsepistel heißt es: Empfinden kann unser Herz das Heil … Das klingt zusammen mit dem, was Josef im Geschehen des ersten Advents in der Zeitenwende vorgelebt hat. Aus dem Vererbungsstrom heraus ist er ohne sein bewusstes Erkennen Zeuger gewesen. Dann wurde er Zeuge der Geburt und schließlich legt er im Anerkennen der Engelsbotschaft und im Nennen des Namens Zeugnis dafür ab, was er aus dem Geiste heraus empfangen hat. Er wird in diesem Moment selbst zum Boten, zum Vermittler. Er steht in der Schilderung dieses Kapitels in dramatischen Übergängen. Durch seinen Entschluss, Maria, die »Seele, die das Geisteskind« empfangen hat, aufzunehmen, vollzieht er einen Schritt, der für alles weitere Mensch-Werden einen entscheidenden Schritt in die Zukunft bedeutet. Josef erlebt Das Bild des Menschenwerdens, in dem Gottes Werden sich birgt, wie es die Adventsepistel nennt.

Mit Hilfe unseres Denkens, im Besinnen und Nachsinnen, können wir zu unserer eigenen Kraft des Geistes erwachen, die in unserer Seele lebt. Dieser inneren Kraft gewahr zu werden, kann uns als mitternächtlicher Weckruf erreichen: sie zu empfinden als das Heil in unserer Mitte, sich mit dem Zukunftsimpuls Jesu ­Christi zu verbinden und durchdringen. Wenn ich anfange, das Ich als das Geistige in meiner Seele zu erleben, beginnt immer auch ein Werden. So leuchtet das Zukunftswort, von dem die Advents­epistel spricht, im Menschen auf und beginnt das Tageslicht von innen her, mit innerem Licht, zu erleuchten. Im Bestattungsritual wird es so ausgesprochen: Wer mich in seine Gedanken aufnimmt, der geht durch die Zeit in das Zeitlose. So ahnen wir bereits im Advent, was als »pfingstlicher Geist« im Werden von Gott und Mensch wirksam werden will, der von uns heute wachsam ergriffen werden möchte.

 

Das Neue, das auf der Erde empfangen wurde, das wieder und wieder zur Weihnacht empfangen und aufgenommen werden will, darf heute mehr und mehr erkannt werden. Es gilt, das allgemein Menschliche, diesen Geist, diese Kraft, die über Volkszugehörigkeit und Konfession hinausführt, zu spüren, mit der Seele, mit dem Herzen aufzunehmen und sich von ihr durchdringen zu lassen.

Josef können wir, wenn wir wollen, als den vorbildlichen Menschen erkennen, der »das Neue« in seine Gedanken aufgenommen hat, der Hilfe und Kraft durch die geistige Welt bekommen hat, durch die Botschaft des Engels, die er im Traum wahrnehmen konnte. So war er imstande, im Tagesbewusstsein seine Gedanken zu opfern und seinen Willen, seine Tatkraft, aus Gottes Gnade zu empfangen – Bewegungen der Seele, die auch in den Worten der Beichte der Christengemeinschaft ihren sakramentalen Ausdruck gefunden haben.

Nicht nur durch die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners ist es uns heute möglich, die Evangelien neu zu erschließen, sondern auch durch jedes Beichtsakrament, das als ein Sakrament der »freien Individualität«, als Stärkung des Ich erlebt werden kann und auf den Empfang des Abendmahls vorbereitet. Das erste Kapitel des Matthäusevangeliums, die Beschäftigung mit Josef und seiner ahnungsvollen Bereitschaft für das Neue, kann zu einem Erkenntnis- und Erlebnisschlüssel auch für die anderen Schriften des Neuen Testaments werden, für das Buch des wahren Menschwerdens. Josef geht am Anfang des gesamten Evangeliums mit mutigen Schritten vom Alten zum Neuen voran und steht als ein bedeutendes Vorbild vor uns. Freuen wir uns auf die Weihnachts-Mitternacht und lassen wir uns von seinem Beispiel der Empfängnis neu begeistern.