Ein kleines Kind bringt die Welt in Ordnung

AutorIn: Maja Rehbein

Eines Nachmittags musste ich in die Stadt fahren, um meine entliehenen Bücher in die Bibliothek zurückzubringen. Während der Fahrt in der U-Bahn wollte ich eines der Bücher, dessen Inhalt mich sehr fesselte, noch schnell zu Ende lesen. Ich ließ mich nicht stören, blickte nur einmal kurz hoch; mir gegenüber saß ein junger Mann mit grünen Haaren und einem, wie mir schien, Verbrechergesicht. Daneben ein vergnatzter Beamtentyp in mittleren Jahren. Keine besonders gute Gesellschaft, dachte ich. Eben hielt der Zug, und zu allem Überfluss stieg auch noch eine junge Frau mit einem etwa dreijährigen, äußerst lebhaften Mädchen ein. Sie setzten sich neben mich, und ich seufzte innerlich. Nun war es mit dem ungestörten Lesen wohl vorbei.

Der Zug fuhr an. Die Dreijährige zeigte mit dem Finger auf mich und sagte laut: »Guck mal, Mami, die Tante liest!«
»Schsch!«, machte die Mutter.
Ich konnte nicht anders, als der Kleinen zulächeln.
Jetzt hatte sie den jungen Mann mit den grünen Haaren entdeckt. »Mami«, fragte sie, »warum hat der Mann so grüne Haare?«
»Schsch!«, machte die Mutter wieder. Doch die Kleine stellte sich vor ihn hin und besah ihn genau. – »Schön!«, sagte sie dann andächtig.
Der junge Mann lächelte. Plötzlich sah er sehr freundlich aus und hatte überhaupt kein Verbrechergesicht. Wie hatte ich das vorher denken können? Auch der Mann neben ihm schmunzelte und sah gar nicht mehr aus wie ein vergnatzter Beamtentyp.

Die Kleine entzückte mit ihrer fröhlichen Unbefangenheit den ganzen Umkreis. Ich lächelte dem jungen Mann mit den grünen Haaren zu, und auch seinem Nachbarn, schaute dann die Mutter an, und alle lächelten mit hellen Gesichtern zurück. Einige Minuten lang schien das Glück anwesend zu sein.
Ein kleines Kind bringt die Welt in Ordnung! Es war, als hätten wir dort in der halbdunklen, ratternden U-Bahn einen Abglanz vom Paradies erlebt.