Humor – Anstößigkeit

AutorIn: Miriam Röger im Gespräch mit Tom Tritschel

Miriam Röger (MR): Vor 100 Jahren hat Kurt Tucholsky1 folgenden Satz aufgeschrieben: »Denn das ist Humor: durch Dinge durchsehen, wie wenn sie aus Glas wären.« Was denkst du darüber?

Tom Tritschel (TT): Das ist mir zu ernst! (lacht) 

MR: Was ist dann Humor für dich?

TT: Ja, da merkt man einfach, dass Tucholsky Satiriker ist und nicht wirklich Humorist. Und er hat selber darüber geschrieben, was ein Satiriker ist. Und da sagt er: »Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist, er will die Welt gut haben, denn sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.« Das ist ein Satiriker. Und das ist Tucholsky. Aber er hat noch einen anderen schönen Satz gesagt, der heißt: »Trudle durch die Welt, sie ist so schön, gib dich ihr hin und sie wird sich dir geben.« Das ist genau mein Humor!

MR: Das klingt gut: durch die Welt trudeln. Das könnte unser neues Motto werden!

TT: Einwandfrei! »Trudle durch die Welt, denn sie ist so schön …!«

MR: In diesem Heft geht es ja um die Sehnsucht nach der Gleichheit der Menschen – inwiefern ist Humor, Satire und Witz ein Mittel der ­Ohnmächtigen, sich an den Machthabern abzuarbeiten?

TT: Es ist ein Mittel, aber es ist eben ein Mittel, das sehr zwiespältig ist. Übrigens ist es ja auch eine Ohnmachtsgebärde, dass man sich an Machthabern abarbeiten muss. Und Witze über Hitler zu machen war ja auch gar nicht ohne. Das hat etwas Doppeltes. Zum einen kann man eben daraus einigermaßen Kraft ziehen, dass man die Mächtigen in ihrer Blödheit aufschließt. Auf der anderen Seite kann das auch ins genaue Gegenteil ausschlagen. In der DDR hat man natürlich auch Honecker-Witze gemacht. Und wenn man wie ich Fensterputzer war, dann war man ziemlich vogelfrei. Wenn es dann regnete, haben wir lauthals zum Himmel gebrüllt: »Sch... Honecker« oder »Sch... Kommunisten«. Das war dann eben im Regen. Also ja, das kann ein Mittel sein.

MR: Und meinst du, dass uns das Lachen ­gemeinschaftsfähiger macht?

TT: Das ist genauso zwiespältig. Lachen kann Gemeinschaft herstellen, wenn man sich gemeinsam über etwas freut. Aber wie alles Schöne kann das unglaublich schnell kippen. Das kann ins Gegenteil umschlagen. Sobald dann zum Beispiel Häme ins Spiel kommt, also z.B. Schadenfreude. Die macht auch mir Spaß – wer lacht nicht, wenn jemand auf die Fresse fliegt? Das ist immer lustig. Das kennen wir ja alle, Slapstick basiert auf diesem Prinzip, und das ist witzig. Das kann aber auch ganz gefährlich werden und nicht Gemeinschaft bilden, sondern Feindschaft bildend wirken. Ja auch Mobbing: da ist immer einer der Depp, über den immer alle lachen. Also das ist auch ein zwiespältiges Ding.

MR: Und wenn wir noch etwas mehr an die Kante gehen: Wozu möchte Humor anstoßen – warum geht es dabei immer auch um »Anstößiges«?

TT: Ich habe ein Problem damit, wenn man ­Humor als Mittel benutzt, um etwas zu erreichen. Und dagegen wehre ich mich eigentlich ein bisschen. Ich finde Humor als solcher ist erst mal etwas Zweckfreies und damit Grandioses. Ich muss den nicht dazu benutzen, das Schlimme aushalten zu können, oder ich weiß nicht was. 

MR: Also nicht in dem Sinne, dass ich die Gemeinde in der Predigt zum Lächeln oder Lachen bringe, nur damit sie hinterher die Moral schluckt, oder so?

TT: Genau so bzw. so schon gar nicht. Es ist einfach prima, fröhlich zu sein. Das ist selbst schon eine Qualität des Daseins, die für sich eine Berechtigung hat, ohne immer in Auseinandersetzung mit etwas anderem zu sein. Rudolf Steiner hat in der Skulptur des Menschheitsrepräsentanten die große Dramatik des Lebens thematisiert, sich als Mensch zwischen den Widersachern zu behaupten. Und oben drüber hat er den Weltenhumor gesetzt. Und dann haben sie ihn danach gefragt und er sagte, der musste dahin aus Proportionsgründen. Ich finde diese Antwort als solche hat schon mal Humor, aber die wird in der Regel falsch verstanden. Die wird verstanden in Bezug auf die Plastik, dass die dann meinen, da oben fehlte noch was an der Skulptur. Ich bin davon überzeugt, der Humor ist oben drüber aus Proportionsgründen in Bezug auf das menschliche Dasein. Humor ist sozusagen die Krönung, ist lebensnotwendig. Das Höchste, was als Mensch zu erreichen ist, ist Humor. Und wenn man an dieses Höchste kommt, dann ist das nicht mehr Witz, Satire oder Ironie. Humor kennt dann aber auch das Anstößige – bis in den tiefsten Grund. Wie bei Mozart, der mit der Zauberflöte in höchste Höhen fliegt und dabei einen Wahnsinnshumor hat, aber auf der anderen Seite Bäsle-Briefe schreibt, wo es dann nur um Anstößiges geht, oder seiner Mutter einen ganzen Brief über das Furzen schreibt. Und das macht die Spannbreite des Humors aus: Wo man eigentlich ganz pikiert sagen würde: oh das ist aber ganz albern oder doof, aber wenn einer einen fahren lässt, müssen alle lachen. Da gibt es also eine unterste Schicht, die sehr lustig ist, die aber eben auch ein bisschen peinlich ist und dann gibt es eine oberste Schicht, wo jeder sozusagen guten Gewissens lachen darf.

MR: Wofür braucht man selbst Humor? Oder ich frag mal direkt: wofür brauchst du Humor?

TT: Ich finde, wenn Sachen – egal worum es geht, ob in der Kunst oder sonst wo – Humor haben, dann ist das am höchsten angesiedelt. Man kann das dann auch mal vornehm Poesie nennen, wenn die also so eine gewisse Leichtigkeit haben, dann ist das für mich ein sehr hohes Gut. Aber natürlich kann es auch diese Zweckgeschichte haben. Also so: da musst du schon Humor haben … in diesem Sinne. Manche Sachen sind mit Humor einfach auch besser zu bewältigen als durch einen Zornausbruch.

MR: Wilhelm Busch schrieb: »Was man ernst meint, sagt man am besten im Spaß.« Wie steht es um das Revolutionäre im Humor?

TT: Ich denke, er meint damit genau das, was wir gerade besprochen haben. Aber davon abgesehen: das Revolutionäre als solches hat ja immer auch ein furchtbares Pathos. Übrigens: heute vor 100 Jahren wurde der Spartakusbund niedergeschlagen. Diese Art Revolutionäres, dieses: »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit«, das hat immer ein hohes idealistisches Pathos. Und das schreit sozusagen immer danach, es zu ironisieren. Und ich finde es auch gut, das unfreiwillig Komische im Pathos zu entlarven. Als damals in der DDR die Friedenskämpfer kamen und auf ihren Abzeichen stand »Schwerter zu Pflugscharen«, dann hatten wir da eben stehen »Schwertfische zu Flugenten«. Und das macht sofort etwas. Das setzt das eine nicht außer Kraft, aber es bringt eine ganz andere Beweglichkeit in die Sache herein. Eine Revolte ist ja eigentlich ein Rückschritt. Das ist ja eine kuriose Figur. Die Verfechter der Revolution wollten ja eigentlich einen paradiesischen Urzustand wiederherstellen – eben Re-volte ...

MR: Wo wir gerade beim Paradies sind: Hat Gott Humor?

TT: (lacht) Zum einen ist das natürlich eine Frage der Logik. Also, wenn nichts entstanden ist außer durch diesen, dann ist auch durch diesen der Humor entstanden. Da können wir schön zufrieden sein, dass wir den haben. Aber ich finde auch, wenn man in die Schöpfung guckt, dann kann man sich an manchen Stellen doch kaputt lachen. Das kann sehr nett und fröhlich sein, aber wenn man jetzt auf den Balkon tritt und das Vogelgezwitscher hört, dann weiß man einfach: da ist Humor in der Schöpfung. Man kann sich natürlich auch manche schrägen Vögel angucken und denkt dann: was hat er sich denn dabei gedacht, der hat sich da einen Scherz erlaubt. Da bin ich mir ziemlich sicher, dass der Humor hatte. Man könnte aber auch sagen: Wenn Gott heute auf den Schlamassel hinguckt, den wir hier unten so veranstalten, dann muss der Humor haben! Ansonsten hätte er hier schon längst mit dem eisernen Besen gekehrt und gesagt: Jetzt ist aber mal Schluss hier mit dem Quatsch. 

MR: Okay, und wie ist es mit der Alchemie? Humor ist doch der Verflüssiger …  

TT: Das stimmt für mich, Humor bringt irgendwie in Bewegung, löst Dinge, die verfestigt sind. Wenn eine Debatte völlig festgefahren oder verhakt ist, und an der Stelle kommt der richtige Spaß, dann geht wieder was. Aber Humor ist nicht nur das Mittlere, das Merkuriale, sondern er ist auch Blüte. Das ist eben so, wie wenn eine Blüte aufplatzt, das ist Humor, das ist die Krönung. Dann hat das eher mit etwas Lichtem, mit etwas Feurigem zu tun, ist also eher eine Art Erfüllung. Danach muss dann auch nichts weiter kommen, damit ist die Sache dann geklärt. Wenn man das gleich am Anfang gehabt hätte, hätte man sich wahrscheinlich einfach ein bisschen gefreut, aber es braucht dann den Weg und dann macht es so »dufff« und »ohhhh« und löst es dann.

MR: Wie ist es mit Humor, Humorlosigkeit und Ernst? Hier ein Zitat von Arthur Schnitzler: »Ein ernster Mensch sein und keinen Humor haben, das ist zweierlei.«

TT: Ja, so ist es. Ich behaupte sogar, dass nur ernsthafte Menschen Humor haben. Also Leute, die ohnehin unentwegt albern sind ... das ist kein Humor, die sind vielleicht ein Witz oder einfach albern. Um aber wirklich Humor zu haben, musst du diese Tiefe haben. Ansonsten ist das Blödsinn. Und zum anderen, das ist ja ganz schlimm. Ich komm ja aus einer Region, aus der kam noch nie ein Kabarettist oder Komiker. Ich kenne keinen. Da gibt es also schon mal so eine gewisse Basis an Grundhumorlosigkeit. Und ich finde es dann immer spannend, nachdem sie, wenn sie einen vermeintlichen Witz gemacht haben, noch hinterherschicken: »Naja, Spaß muss ja sein.« Da kann man sich dann sicher sein, da ist weder Spaß noch Humor im Spiel. Das ist die unterste Schublade. Humor ist aber eigentlich etwas ursprünglich Menschliches. Jedes Kind hat Humor. Jedes Kind hat Stellen, wo es einfach losgickern muss, weil es dermaßen lustig ist. Und das kann schon das simpelste sein. Da fällt ein Blatt Papier auf eine merkwürdige Art herunter – und dann muss es einfach lachen, weil das lustig ist. Das ist so ein bisschen eine tragische Frage: Wie wird Kindern der Humor ausgetrieben? Oder wie bekommt man das in eine Schicht des Gemüts, dass das tatsächlich ein Lebenselement ist. 

MR: Hast du noch einen Witz zum Abschluss?

TT: Ja, wunderbar! Da wir gerade bei Ernst und Humor waren … Da gibt es den Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern. Der Deutsche sagt mit Pathos: »Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos.« Und der Österreicher, der hat nämlich Humor, der sagt: »Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst!«

MR: Das ist ein wunderbares Schlusswort! ­Vielen Dank.  

 

1  Kurt Tucholsky, Brief an Mary ­Gerold, 4. Oktober 1918