Ostern: ein vom Kosmos bedingtes Fest?

AutorIn: Ernst Terpstra

In den vergangenen Monaten wurde wiederholt die Frage nach dem diesjährigen Ostertermin gestellt. Sollte Ostern 2019 einen Monat früher gefeiert werden als am 21. April, dem Datum, das in allen Kalendern steht? Und viele haben jetzt die Frage: Wer bestimmt eigentlich, wann Ostern ist, und machen wir da als Christengemeinschaft einfach mit? Diese Fragen sind der Anlass für diesen Beitrag. 1

 

Zu Ostern feiert die christliche Kirche die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Es ist das einzige christliche Fest, das von alters her von den Bewegungen von Sonne und Mond bestimmt wird: Es wird grundsätzlich am Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsbeginn (in der nördlichen Hemisphäre) gefeiert. Der Ostertermin wird schon seit Jahrhunderten unter der Annahme einer vereinfachten Darstellung der Bewegungen von Sonne und Mond berechnet. Die berechneten Daten entsprechen normalerweise der astronomischen Realität, manchmal gibt es jedoch Abweichungen.

 

Geschichte des Osterfestes

Gemäß den Evangelien wurde Jesus am Vorbereitungstag des jüdischen Pessachfestes gekreuzigt, der auf den 14. Tag des Monats Nisan fällt, d.h. den Tag des Vollmonds (das Fest selbst dauerte eine Woche, vom 15. bis 22. Nisan). Im Jahre 33 war dies der erste Vollmond nach Frühlingsbeginn. Der Vorbereitungstag fiel damals auf den 3. April unserer Zeitrechnung. Die Auferstehung Jesu Christi fand somit am Sonntag, den 16. Nisan (= 5. April) statt, dem ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling.

In den ersten Jahrhunderten feierten die meisten Christen Ostern gleichzeitig mit dem Beginn des Pessachfestes. Im 3. Jahrhundert wurden jedoch immer mehr Einwände dagegen erhoben, hauptsächlich aus zwei Gründen: 1. Der Beginn von Pessach fällt nicht auf einen festen Wochentag, wodurch Ostern nicht immer an einem Sonntag wäre. 2. Im jüdischen Mondkalender liegt der 14. Nisan manchmal schon vor Frühlingsbeginn.

Aus einem von Bischof Eusebius (263 – 339 n. Chr.) überlieferten Fragment geht hervor, dass die Christen in Alexandria bereits vor dem Jahr 300 die Regel befolgten, Ostern am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling zu feiern. Außerdem legten sie den Frühlingbeginn immer auf den Tag, der in unserem Kalender dem 21. März entspricht.

 

Versuche, zur Einheit zu kommen

Während des großen Konzils von Nicäa (im Jahre 325), unter der Führung von Kaiser Konstantin, wurde aufgrund dieser alexandrinischen Regel versucht, zu einer eigenen Berechnung des Ostertermins zu kommen, der für alle Christen gelten sollte. Die rund 250 Bischöfe, darunter Gelehrte, Märtyrer und spätere Heilige, gründeten sich auf geistige, kosmologische und theologische Erkenntnisse. Sie konnten sich jedoch nicht einig werden. Dadurch wurde z.B. im Jahr 387 das Osterfest in Rom am 21. März gefeiert, in Alexandria am 25. April und am 18. April in anderen Kirchen.

Im Jahr 525 fertigte der römische Mönch Dionysius Exiguus Tabellen und ein Berechnungsschema gemäß der alexandrinischen Regel an. Er passte die Berechnung so an, dass der frühestmögliche Ostertag der 22. März und der letztmögliche der 25. April wäre. Der Papst entschied, dass Ostern nach dieser Methode gefeiert werden sollte. Die Berechnungen wurden dem Bischof von Alexandria überlassen. Erst im 9. Jahrhundert jedoch wurden die von Dionysius berechneten Daten allgemein akzeptiert.

 

Kalenderreform und verbesserte Berechnungen

Im Mittelalter wurde festgestellt, dass die so berechneten Daten erheblich von den Himmelserscheinungen abwichen. Zum Beispiel begann der astronomische Frühling im 16. Jahrhundert schon am 11. März, und der kirchliche Vollmond wich manchmal drei Tage vom wirklichen Vollmond ab. Zu dieser Zeit benutzte man noch den Julianischen Kalender, eingeführt von Julius Caesar im Jahre 46 v. Chr., der alle vier Jahre einen Schalttag hatte. Schließlich entschied sich Papst Gregor XIII. 1582 für eine Kalenderreform: im Oktober wurden 10 Tage ausgelassen, so dass der Frühlingsanfang wieder auf den 21. März fiel. Durch eine kleine Anpassung der Schaltjahrregelung sollte sichergestellt werden, dass dies auch in Zukunft so bleiben würde. Die kirchliche Vollmondberechnung wurde ebenfalls verbessert, so dass sie im Durchschnitt dem astronomischen Vollmond entsprechen würde.

Es dauerte im Westen mehr als zwei Jahrhunderte, bis dieser neue Kalender fast überall angenommen wurde; die Folge war, dass es während dieser ganzen Zeit keinen gemeinsamen Ostertermin gab. Die meisten östlich-orthodoxen Kirchen verwenden den julianischen Kalender bis heute, so dass die Ostertermine im Westen und Osten oft nicht zusammenfallen.

Der deutsche Mathematiker C.F. Gauß erstellte im Jahre 1800 eine Formel, mit der der Ostertag für jedes Jahr berechnet werden kann, ohne vorher Tabellen zu erstellen.

 

Ein beweglicher oder ein fester Ostertermin? 

Aus der vorstehenden Beschreibung ist klar geworden, dass die Bestimmung des Ostertermins auf der Grundlage der alexandrinischen Regel keine einfache Angelegenheit war. Es ist daher verständlich, dass es immer wieder Stimmen gab, die meinten, das Fest sollte jährlich zu einer fixierten Zeit gefeiert werden. 1539 befürwortete Martin Luther das, zwei Jahrhunderte später tat es der Schweizer Mathematiker Johannes Bernoulli. Das britische Parlament stimmte 1928 mehrheitlich dafür, dass der Sonntag nach dem zweiten Samstag im April der feste Ostertermin sein sollte; diese Entscheidung wurde jedoch nie in Kraft gesetzt. In jüngerer Zeit wurden sowohl in der römisch-katholischen als auch in der anglikanischen Kirche Initiative ergriffen, um zu einem festen Termin zu kommen, der für alle Christen gelten sollte. Bisher jedoch ohne Erfolg, vor allem, weil die östlich-orthodoxen Kirchen nicht mitmachen wollen.

 

Die Sonne besiegt den Mond

In einem Vortrag aus dem Jahr 1912 spricht Rudolf Steiner darüber, dass mit dem ersten Osterfest in der Menschheit das Ich-Bewusstsein geboren wurde und dass deshalb die Zeitrechnung von Ostern bis Ostern laufen sollte. Auch sollte der Ostertermin vom Himmel abgelesen und nicht aufgrund materialistischer oder kommerzieller Motive auf ein bestimmtes Datum fixiert werden.2

Einige Jahre zuvor hatte Steiner darüber gesprochen, dass die christliche Einweihung, die durch das Mysterium von Golgatha möglich gemacht wurde, erst stattfinden konnte, nachdem zuerst die geistige Sonne im Frühjahr erschienen und das alte Mondprinzip zurückgetreten war. Laut Steiner war die Zeit gekommen, in der die Menschheit der allumfassenden geistigen Sonnenkraft, der Christuskraft, teilhaftig werden würde, die die Mondenkräfte besiegen sollte.3

Durch die Befolgung der alexandrinischen Regel für den Ostertermin wird dieser Sieg der Sonne über den Mond zweimal sichtbar am Himmel, kurz bevor es Ostern wird:

– Um den 21. März herum sind die Bahnen von Sonne und Mond am Himmel gleich hoch. Von diesem Moment an, nimmt die Höhe der Sonnenbahn zu, während die des Vollmondes abnimmt. 

– Während des ersten Vollmondes im Frühling stehen sich Sonne und Mond am Himmel gegenüber; danach nimmt der Mond ab und bewegt sich in Richtung der Sonne. 

In Anbetracht der obigen Ausführung wird wenigstens ein großer Einwand gegen einen festen Ostertermin deutlich: bei einem solchen festen Termin, könnte es vorkommen, dass am Karfreitag oder am Ostersonntag eine Sonnenfinsternis stattfindet, ein Ereignis, bei dem sowohl für die Wahrnehmung als auch für das Erleben, der Mond gerade die Sonne besiegt.

 

Kirchliche und astronomische Ostertermine

Die kirchlichen Berechnungen für den Ostertermin basieren auf durchschnittlichen Positionen von Sonne und Mond und dem Frühlingsbeginn am 21. März um 0.00 Uhr. Astronomisch exakt kann der Mond heute jedoch bis zu 0,7 Tage vom durchschnittlichen Mond abweichen, und der astronomische Frühlingsbeginn variiert zwischen dem 19. März morgens und dem 21. März abends.

Ob der Mond voll ist, kann direkt am klaren Himmel beobachtet werden; der Mond bleibt für mehr als 24 Stunden zu 100% voll. Der Zeitpunkt, zu dem Sonne und Mond einander exakt gegenüberstehen, kann nicht beobachtet werden, sondern muss berechnet werden.

Auch der astronomische Frühlingsbeginn (Tagundnachtgleiche oder Frühlingsäquinoktium genannt) kann nicht vom Himmel abgelesen, sondern muss ebenso rechnerisch bestimmt werden. Es ist der Moment, in dem die Sonne – im Sternbild der Fische – den Himmelsäquator von Süden nach Norden überquert. Dieser Himmelsäquator ist die Projektion des irdischen Äquators auf die Himmelskuppel. Zum Zeitpunkt des Frühlingsbeginns geht die Sonne genau im Osten auf und im Westen unter; Tag und Nacht sind dann gleich lang. Dieser Zeitpunkt verschiebt sich in einem Rhythmus von 4 Jahren (wegen der Schalttage) und in einem langsameren Tempo wegen Änderungen in der Sonnenbahn.

Unterschiede zwischen dem kirchlich berechneten und astronomisch bestimmten Oster-termin (sogenannte »Osterparadoxien«) können auftreten in jenen Jahren, in denen die Zeitpunkte des Frühlingsanfangs und des Vollmonds nahe beieinanderliegen. Letzteres war im vorigen Jahrhundert der Fall in den Jahren 1905, 1924, 1943 und 1962. Weil der Zeitpunkt des Vollmonds in all diesen Jahren jedoch einige Stunden vor den Frühlingsbeginn fiel, war jedes Mal der erste Vollmond im Frühjahr vier Wochen später und stimmte der für den Monat April berechnete Ostertermin.

 

Die Osterparadoxien von 2019 und 2038

Im diesem Jahr 2019 ist die Situation folgende: Der Mond wird am Mittwoch, den 20. März, um 12.53 Uhr MEZ4 voll werden und das bis Donnerstag, den 21. März, 16.38 Uhr bleiben. Der astronomische Frühlingsbeginn wird am 20. März um 22.58 Uhr sein. Es gibt nun zwei Möglichkeiten im Umgang mit dieser Tatsache:

1. Wir nehmen den Beginn der gesamten Vollmondzeit zum Maßstab. Dann ist der Mond schon 10 Stunden vor dem Frühlingsbeginn voll, und das bedeutet, dass der erste Vollmond im Frühling vier Wochen später liegt und das astronomische Osterdatum der 21. April ist. Dies ist auch das kirchlich berechnete Datum.

2. Wir nehmen den Zeitpunkt, an dem sich Sonne und Mond genau gegenüberstehen – ungefähr in der Mitte der Vollmondperiode – als Maßstab. Das ist am 21. März um 02.45 Uhr und somit fast vier Stunden nach dem Frühlingsbeginn. Dann wäre der nächste Sonntag, also der 24. März, der astronomische Ostertermin.

Da für die Wahrnehmung der Mond bereits lange vor Frühlingsbeginn voll ist, kann man meines Erachtens in 2019 nicht wirklich von einer Osterparadoxie sprechen. Eine echte Kontroverse zwischen dem kirchlichen und dem astronomischen Termin wird aber im Jahr 2038 stattfinden. Der Frühling beginnt dann am Samstag, dem 20. März um 13.25 Uhr, und der Mond wird vom 20. März, 13.33 Uhr bis 21. März, 16.43 Uhr voll sein. Das Zentrum des Vollmonds ist am 21. März um 03.08 Uhr. Es ist in diesem Fall nur eine Schlussfolgerung möglich: am ersten Sonntag nach diesem Vollmond, das ist am 28. März, wird kosmisches Ostern sein. Das berechnete kirchliche Datum, das in allen Tabellen steht, ist jedoch der 25. April. Wir haben es in 2038 also mit einer echten Osterparadoxie zu tun.

 

Anregung für die Zukunft

Die Berechnungsregel für das Osterdatum wurde ursprünglich aus der astronomischen Wahrnehmung abgeleitet, sie hat diese Wahrnehmung jedoch allmählich ersetzt. Dies passt zu der Tendenz innerhalb des Christentums, sich vom Kosmos und der Natur, die als heidnisch angesehen wurde, loszulösen.

Aufgewacht an der Frage vieler Menschen nach dem richtigen Ostertermin für das Jahr 2019, könnten wir als Bewegung für religiöse Erneuerung beschließen, das Osterfest in Zukunft immer »kosmisch korrekt« zu feiern und die abstrakte Rechenregel loszulassen. Wir haben jetzt noch 19 Jahre, um dies intern vorzubereiten und zu versuchen, die übrige Christenheit dafür zu interessieren und zu begeistern.          

 

1  Der folgende Beitrag erscheint im März 2019 auch in der niederländischen Vierteljahreszeitschrift In beweging.

2  Vortrag vom 23. April 1912 in: Der irdische und der kosmische Mensch, GA 133

3  Vortrag vom 15. April 1908 in: Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule von 1904 bis 1914, GA 265

4  MEZ: Mitteleuropäische Zeit; gilt für alle genannten Zeitpunkte.