Empfängnis - Das Neue aufnehmen

AutorIn: Karl Schultz

Es gibt – zumal in der Bibel – eine Sprache, die heute nicht oder kaum noch verstanden wird. Das liegt wohl auch daran, dass uns die Bildersprache der Bibel fremd geworden ist, dass wir sie zu vordergründig auf das Historische oder Pädagogische reduzieren. Im Advent und am Ende des Kirchenjahres tauchen wieder die großen mystischen Bilder auf: Hochzeit, Ehe, Zeugung, Empfängnis und schließlich auch die Geburt. Sie bringen zum Ausdruck, worauf es ankommt: die Vereinigung des Menschen mit Gott.

 

Ein Bild, das in der Gestalt der Maria vor unserm inneren Auge erscheint, soll zuerst betrachtet werden. Der Engel des Herrn tritt zu ihr in ihre Kammer, die himmlische Botschaft dringt in ihr Herz und erfüllt ihr ganzes Wesen; die »Kraft des Höchsten« kommt, sie zu »überschatten«. Sie hat – wie es die Kirche von ihr gesagt hat – Christus in ihrem Herzen empfangen, ehe sie ihn leiblich in ihrem Schoß empfing. Diese »Jungfrau Maria«, die demütige »Magd des Herrn«, darf aber nicht als ein Mirakel isoliert werden, sondern sie ist zugleich das Sinnbild der glaubenden Menschheit und jeder einzelnen glaubenden Seele; ihr von Gott gesegneter Schoß, ist das Bild der reinen Empfänglichkeit, die allein Anteil gewinnt an dem Leben Gottes. Alle Spekulationen darüber, »wie solches zugeht«, darum auch alle Konstruktionen über die physiologische Seite dieses Geheimnisses, sind meiner Meinung nach unangemessen und machen das Wunderbare (mirabile) zu einem Verwunderlichen (miraculum) und verfehlen dadurch gerade das Mysterium, das hier seinen entscheidenden Ausdruck gefunden hat.

 

Der Prolog des Johannesevangeliums hat in diesem Sinn die Geschichte von der Jungfrauengeburt des Herrn als das Urbild dessen verstanden, was an jedem Christen geschieht, geschehen ist oder geschehen soll. Dort heißt es: »Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf; wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, welche nicht von dem Geblüt noch dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.« Das heißt: Sie empfangen Anteil an einem Leben, das nicht aus der biologischen Erbmasse, sondern aus der geheimnisvollen Zeugung des göttlichen Wortes stammt, und eben dieses ist gewiss der innerste Sinn dessen, was das Evangelium von der Geburt Jesu erzählt.

Die Weitergabe der Botschaft, die Ausbreitung der Geheimnisse Gottes, erscheint immer wieder in dem Bild einer Zeugung: »Denn in Jesus Christus habe ich euch durch das Evangelium gezeugt« (1. Kor 4,15; vgl. Phil 10); »nach seinem Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit geboren« – viele Übersetzungen verwenden hier auch das Wort »gezeugt« – (Jak 1,18); und in einem besonders kühnen Bild kann gesagt werden, dass »der Same Gottes« in uns ist (1 Joh 3,9). Die leibliche Zeugung wird nicht etwa dadurch entwertet, auch solche »geistliche« Zeugung muss aufgenommen und »empfangen« werden.

Am Ende des letzten Buches der Bibel steht das Bild der himmlischen Hochzeit, der Hochzeit des »Lammes«, wo die Gemeinde Jesu Christi als die »Braut« zur endgültigen Erfüllung ihrer Liebe und ihrer Hoffnung gelangt. Immer, auch in der Bibel, erscheint die Hochzeit als die Zeit der Erfüllung und der Freude. Genauer gesagt: Hochzeit ist das Fest der endgültigen Vereinigung. Das Verhältnis Gottes zu seinem Volk erscheint im Bild der Ehe, die auf Verbindung, Vereinigung und bleibende Einheit angelegt ist. Die himmlische Hochzeit, von der die Mystiker aller Zeiten geredet haben, bringt die Verbindung von Gott und Mensch, von Himmel und Erde.

 

Jede bloß gedankliche oder rhetorische Weitergabe kann eben nicht in den verborgenen Grund dringen, in dem das neue Leben geweckt wird. Ich wage einen kühnen Vergleich: Jede antimystische Theologie oder Beredsamkeit gleicht einer Zeugung mit Empfängnisverhütung, bei der geradezu geflissentlich verhindert wird, dass »etwas passiert«, dass nämlich wirklich neues Leben geweckt wird. Diese andere Seite der Zeugung, nämlich die Empfängnis und die Geburt, ist das im Grunde entscheidende Bild für das Geheimnis des geistlichen Lebens. »Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen« (Joh 3,9). Das biblische Bild von der neuen Geburt (oder Zeugung von oben her) meint nichts anderes als dieses, dass das geistliche Leben nicht in erster Linie aus uns selbst, nicht aus dem natürlichen Zusammenhang der Abstammung und des Blutes, sondern aus dem Zusammenhang stammt, dass Gott Wohnung in unserem menschlichen Raum nimmt, also nichts anderes, als was die Bilder von Speise und Trank in der Eucharistie oder von Same und Zeugung und Empfängnis besagen. Das geistliche Leben ist das Geheimnis der Gegenwart Gottes in dem personenhaften Leben des einzelnen Christen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern einen frohen Advent und verbinde diesen Gruß mit einer Zeile aus dem Lied von Philipp Nicolai (1599): »Wachet auf, ruft uns die Stimme.«

» … Wohlauf, der Bräutgam kommt; steht auf, die Lampen nehmt. Halleluja. Macht euch bereit zu der Hochzeit, ihr müsset ihm entgegen gehn.«