Gelassenheit – Mut zur Ruhe

AutorIn: Karl Schultz

Im Rahmen einer Schweigewoche für Priester schlief ein Teilnehmer während einer Meditation ein und fing an laut zu schnarchen. Das führte zu allgemeiner Erheiterung, so dass der Exerzitienmeister die Meditation abbrach und lächelnd den Eingeschlafenen ansprach: »Das war zwar nicht im Sinne der Übung, aber ein wunderbares Zeichen deiner Gelassenheit.«

 

Wahrscheinlich gepaart mit Müdigkeit und Loslassen, sank der Teilnehmer in den Schlaf. Das kennen wir ja alle. Solange wir gedanklich damit beschäftigt sind, einschlafen zu wollen, verhindern wir geradezu, dass wir in den Schlaf sinken. Gelassenheit und Loslassen hängen nicht nur sprachlich zusammen.

Oft bin ich wie eine Maschine, die auf Hochtouren läuft. Wenn ich zur Ruhe kommen will, bewegt sich innerlich alles weiter, es dreht sich und macht Lärm … es gibt also eine Sehnsucht nach Ruhe und es gibt Orte, wo ich sie finden kann – oder anders gefragt: Wie kann ich mich mehr sammeln, wie kann ich nachhaltiger in Verbindung mit dieser Ruhe bleiben? Die meisten Menschen kennen ja Momente heilsamer Ruhe: das mühelose Kreisen eines Vogels am Himmel, das Licht einer Kerze, die Betrachtung eines Bildes und in besonderer Weise: das Hören von Musik.

 

Geh hin, wo du allein bist, nicht gestört wirst, wo die Ruhe der Umwelt dich ansteckt. Vielleicht ist es ein Zimmer, der Wald oder eine Kirche. Wenn dir einmal etwas begegnet, was Ruhe ausstrahlt, bleib dort. Bleib dort ohne Absicht, ohne angestrengtes Wollen. Lerne das Loslassen – alle Sorgen, Pflichten, alle Eile und Geschäftigkeit, mehr und mehr alles Grübeln, Diskutieren, Denken, Wollen, alles Absichtliche. Je mehr du das loslässt, je mehr du dich selber loslässt und in dir hinabsinkst, bist du auf einem Zugang, der in einen Weg übergeht oder wenigstens auf einem Zugang, der sich öffnet und die Ruhe in dir zulässt.

Gewiss, das können einmalige Erfahrungen sein. Aber wenn sie dir geschenkt wurden, darfst du sie nicht ignorieren oder schnell wieder vergessen. Bewahre sie, indem du ein Ritual findest und somit diese Erfahrungen festhältst und wachsen lässt – unmerklich wächst du mit und wirst reifer, tiefer, eigentlicher – gelassener. Zunächst bist du der Regisseur einer Geste, eines Rituals, eines Vorgangs, aber irgendwann dreht sich das Ganze, irgendwann wirkt die Geste, das Ritual, der Vorgang und prägt dich, verändert dich – macht dich gelassener. Der Mut zur Ruhe zahlt sich aus. Martin Buber, der jüdische Religionsphilosoph, hat es so ausgedrückt: »Gott sagt nicht: ›Das ist ein Weg zu mir, das aber nicht‹, sondern er sagt: ›Alles, was du tust, kann ein Weg zu mir sein, wenn du es nur so tust, dass es dich zu mir führt.‹« Meister Eckhart weiß: »Gott und ich sind eins, er wirkt und ich werde.«

 

Loslassen, was mich dauernd besetzt: meine Pflichten und Pläne, meine Sorgen und Gedanken, meine inneren Fragen, mein Suchen und Zweifeln. Loslassen meint: das alles gehört zwar zu mir, aber ich stehe nicht mehr mit meiner ganzen Aufmerksamkeit zur Verfügung. All das wird relativ. So verstehe ich Gelassenheit. Sie ändert nicht zwingend die Welt, aber sie verändert mich.