Schicksalsgelassenheit

AutorIn: Mechtild Oltmann-Wendenburg

An einer Schwelle anzukommen, bedeutet, eine Herausforderung zu erfahren. Der nächste Schritt bedarf besonderer Aufmerksamkeit, um sie ohne zu stolpern zu überwinden. Eine andere Erfahrung, die sich manchmal einstellt, ist, dass es hier überhaupt keinen nächsten Schritt gibt: Plötzlich wird der Übergang zu einer Mauer oder Wand, es geht nicht weiter und oft auch nicht zurück, mit anderen Worten, es gibt Situationen der Ausweglosigkeit, in denen jegliche Richtung verlorengeht.

Das können wir das Unabänderliche nennen, unwiderrufliche Endgültigkeit, Stillstand. Hier steigert sich die Herausforderung zum Schmerz durch Verlust ähnlich wie im Tod. Ein Todeserlebnis mitten im Leben, oft verbunden mit dem gleichzeitigen Gewahrwerden einer Schuld, einer fremden oder der eigenen. Worte wie »nie wieder« oder »vorbei«, »vorüber« beschreiben das.

Für die ältere Generation gibt es das häufig und ist oft mit tiefem Bedauern verknüpft: »Das ist für immer verschwunden« oder »es wird nie wieder so sein«. Dann entsteht die Sehnsucht nach der Vergangenheit, die häufig auftritt, ohne zu bedenken, dass es auch unerfreuliche Dinge gibt, die nie wieder kommen. Beides hilft nicht weiter aus diesem merkwürdigen Stillstand.

Die Kraft der Gelassenheit gegenüber dem Unwiederbringlichen aufzubringen, wirkt dann wie eine Befreiung, wie das Ja-Sagen zum gegenwärtigen Augenblick, was er auch immer bringt. Einfach gesagt: »Let it be«. Dann ergibt sich die Möglichkeit für eine sehr entscheidende Erkenntnis: Wenn ich etwas in meinem Leben absolut nicht mehr ändern kann, so muss ich mich selbst verwandeln ...

Mit dieser Einsicht ist ein zweiter, anderer Weg angedeutet, der neben dem »guten Willen« zur Gelassenheit leitet. Er führt über das Denken, das immer hilft, nicht aufzugeben.

In einem seiner bekanntesten Vorträge aus dem Zyklus »Pfade der Seelenerlebnisse« mit dem Titel »Vom Wesen des Gebets«, beschreibt Rudolf Steiner die Gelassenheit sozusagen auf religiöse Art und Weise, da heißt sie dann »Ergebenheit«. Diese kann an die Stelle von Aussichtslosigkeit und Ohnmacht treten, wenn man sich die Gedanken bildet, die ganz der Zukunft zugewendet werden sollten aus eigener, in der Vergangenheit liegender Erfahrung: »Was auch kommt, was mir auch die nächste Stunde, der nächste Morgen bringen mag, ich kann es zunächst, wenn es mir unbekannt ist, durch keine Furcht und Angst ändern. Ich erwarte es mit vollkommenster innerer Seelenruhe, mit vollkommener Meeresstille des Gemütes!« Zu dieser Haltung kann das eigene Denken führen.

Und siehe da, wenn diese innere Kraft aufgebracht werden kann zur Einsicht, Hingabe und zur positiven Resignation des Loslassens, so verändert sich bereits dadurch sehr viel.

Die scharfe Denkerin Hannah Arendt hat viele sehr ernste und schwere Schwellen in ihrem Schicksal kennengelernt, auch die zwischen Mensch und Mensch, die ebenfalls manchmal unüberwindlich erscheinen. Ihre lapidaren Worte dazu nach der Prüfung aller anderen Möglichkeiten sind immer wieder: »Da kann ich nichts machen!« Das muss ich in Kauf nehmen, aushalten, loslassen. Es ist eine Weisheit, dies zu erkennen. Ihr ist das sogar bei dem Unverständis vieler auch ihr nahestehender Menschen gegenüber ihrem Wort von der »Banalität des Bösen« gegenüber Adolf Eichmann gelungen. Sie hat es trotz massiver Vorwürfe von vielen Seiten nie widerrufen. Mit Gelassenheit hat sie die Reaktionen ertragen. Vielleicht bringt es eine besonders wirksame Kraft, wenn man es vermag, etwas auf sich beruhen zu lassen, ohne sich oder es zu verteidigen.

Der höchste Gedanke allerdings, der gegenüber aller Endgültigkeit und dem Unwiederruflichen in der Welt heute neu gedacht werden kann, ist: Es gibt eine andere Seite jeder noch so unüberwindlich erscheinenden Schwelle, auf der es in verwandelter neu zu bildender Wirklichkeit weitergehen wird! Es wird ein neues Erdenleben geben. Es geht weiter, wenn auch noch nicht gleich nach dem Tod, wo wir zunächst noch nichts ändern können, da es die Freiheit dazu für den Menschen nur auf der Erde gibt. Danach aber werden wir an der Arbeit sein: nach einem gewaltigen, machtvollen Loslassen unter der Hilfe und dem Beistand desjenigen, der an der Schwelle des Todes steht, den er für sich überwunden hat, um an unserem Schicksal weiter verwandelnd mit tätig zu sein.

Wer sollte da nicht gelassen werden?