Krankheit – eine Aufgabe für den Menschen

AutorIn: Rolf Herzog

»Die Befunde sind schlecht, das Befinden auch, mir selber geht es gut.« So antwortete eine schwerkranke Frau auf die Frage, wie es ihr geht. Sie hatte ein differenziertes Empfinden entwickelt für das menschliche Wesensgliedergefüge, für Leib, Seele und Geist. Dem eigentlichen Ich, ihrem ewigen Selbst, ging es gut und von ihm strömten aufbauende, heilende Kräfte aus, um die Krankheitsprozesse begleiten, bejahen und tragen zu können.

Was beim Menschen sich als krank erweist, betrifft den sterblichen Körper und bis zu einem gewissen Grad auch die Seele. Im Blick auf die Zusammenhänge wiederholter Erdenleben kommt sie sogar als Ursache in Frage. Man darf nun allerdings nicht meinen, alle Krankheiten seien Folgen aus früheren Schicksalszusammenhängen. Es kann das auch ganz anders sein, was an den drei im Johannes-Evangelium geschilderten Heilungen offenbar werden kann.

Die erste ist die des Sohnes des Hauptmanns von Kapernaum (Joh 4). Er ging zu Jesus und bat ihn, seinen Sohn, der bereits im Sterben lag, zu heilen. Als er ihm sagt: »Gehe hin, dein Sohn lebt«, vertraut er auf dieses Wort und erfährt unterwegs von den ihm entgegenkommenden Dienern, sein Sohn sei wieder gesund.

Die zweite, unmittelbar anschließende Heilung ist im fünften Kapitel geschildert. Am Teich Bethesda in Jerusalem liegt ein Mensch seit 38 Jahren gelähmt. Jesus fragt ihn, ob er den Willen habe, gesund zu werden. Er antwortet, dass er keinen Menschen hat, der ihn in das Wasser bringt, wenn dieses von heilendem Engelwirken bewegt wird. Darauf hört er die Worte: »Steh auf, nimm dein Lager und geh!« Später begegnet er Jesus im Tempel und bekommt nun den Hinweis: »Sündige hinfort nicht mehr, damit nicht ein noch schwereres Schicksal dich treffe!« Es gibt also einen Zusammenhang zwischen seiner Erkrankung und einer Schuld, also einer Sonderung vom Göttlichen. Das nehmen die Jünger auf und fragen bei der dritten Heilung, der des Blindgeborenen im neunten Kapitel: »Wer hat denn gesündigt, dieser Mensch selber oder seine Eltern?« Sie gehen also davon aus, dass auch hier die Ursache in der Vergangenheit und einer Schuld liegt. Jesus aber sagt ihnen: »Die Blindheit rührt weder von seiner Sünde her noch von der seiner Eltern, vielmehr soll dadurch die Wirksamkeit des Göttlichen in ihm zur Offenbarung kommen.«

Das geschieht bei allen drei Heilungen. Beim Gelähmten löst sich die Schuld der Vergangenheit, die ihn krank werden ließ. Beim Blindgeborenen leuchtet Künftiges auf, indem er als Mensch selber einbezogen wird in den Heilungsvorgang. Er soll sich im Teich Siloah waschen und muss später sich den Fragen der Pharisäer stellen, die wissen wollen, wie er geheilt wurde. Seine Antworten sprechen von seiner Verantwortung gegenüber dem, der ihn geheilt hat, und er bekennt sich zu ihm.

Und der Sohn des Hauptmanns erlebt als junger Mensch die Lebenskraft des in Jesus wirkenden Logos, unabhängig vom individuellen Schicksalsstrom, wie das beim Sakrament der Kindertaufe und bei der Konfirmation geschieht.

Krankheiten in unseren Erdenverhältnissen hängen, wie so vieles, zusammen mit dem Wirken der beiden Widersacher, Luzifer und Ahriman, die bei der Versuchung (Mt 4) Diabolos und Santanas genannt werden. Im apokryphen Nikodemus-Evangelium1 sprechen die beiden am Karsamstag über diese Zusammenhänge, noch bevor der Christus nach dem Tod am Kreuz, bei der sogenannten Höllenfahrt in ihre Daseinsbereiche absteigt, um all die Verstorbenen aus ihren Anbindungen an ihre Welt des Todes zu befreien. Satan spricht da über Jesus: »Er hat mir viel Böses in der Welt droben angetan, als er mit den Sterblichen zusammenlebte. Denn wo er immer meine Diener fand, trieb er sie aus, und alle Menschen, welche ich bucklig, blind, lahm, aussätzig oder dergleichen mehr gemacht hatte, die heilte er durch bloßes Wort.« Und Diabolos berichtet: »Ich verschlang vor kurzem einen Toten mit Namen Lazarus, und bald riss mir einer der Lebenden durch bloßes Wort, mich vergewaltigend, diesen aus meinen Eingeweiden. Ich nehme an, es ist der gleiche, von dem du sprichst.«

Man kann doch ein bisschen Mitleid fühlen mit diesen beiden, denen die Macht über die Menschen genommen wird, die durch ihre Sonderung vom Göttlichen, die sogenannte Sündenkrankheit, an die Sterblichkeit der Materie gebunden wurden.

An den drei Heilungen im Johannes-Evangelium kann deutlich werden, wie der Christus ihnen diese Macht über die Menschen Schritt für Schritt entrissen hat. Bewegend ist auch, dass im Gespräch der Widersacher das größte Heilsgeschehen, die Auferweckung des Lazarus, noch hinzukommt. Sie ist Voraussetzung für die Auferstehung Christi und die Überwindung der Widersacher.

Der Impuls des Heilens aus der Tat der Auferstehung, die Wiederverbindung des durch die Sündenkrankheit vom Göttlichen-Geistigen Getrennten, lebt als Grundlage weiter in der christlichen Heilkunst und in der erneuerten Mysterien-Medizin, die im Zusammenwirken von Rudolf Steiner und Ita Wegman inauguriert werden konnte. Daraus entstand auch der »Pastoralmedizinische Kurs«, der im Mantram für Ärzte und Priester gipfelt, in dem die Krankheit als vom göttlichen Weltenvater ausgehend angesprochen ist, der sie dem Menschen schickt zum Ausgleich des Karmas, an dem er selbst mitarbeiten darf.

An den beiden folgenden Schicksalssituationen leuchtet diese Mitarbeit auf:

Albrecht Meyer, der 1985 verstorbene Priester der Christengemeinschaft, berichtete von einer Frau, die blind und gelähmt war. Viele Menschen aus seinem Umkreis erzählten ihm von ihr, von ihren helfenden Möglichkeiten in allergrößten Nöten und Schicksalssituationen. So fragte er schließlich, ob er sie einmal besuchen dürfe, und es entwickelte sich ein tiefes Gespräch. Auf seine Frage, ob sie einmal die Sonne habe sehen dürfen, antwortete sie, dass sie sie gut kenne, da sie erst mit zwei Jahren erblindet sei und auch noch weiter zurückschauen durfte, bis in das Licht der vorgeburtlichen Welt. Da erlebte sie sich neben der hellen Lichtgestalt ihres Engels, der sie auf ihren Schicksalsweg hinwies, dass sie nicht werde gehen und sehen können, daran aber lernen, wie kostbar ein irdischer Körper ist. Dafür würde sie umso mehr das göttliche Licht in ihrem Herzen gegenwärtig haben. Sie durfte sogar weiter zurückschauen bis in ein früheres Erdenleben, in dem sie aus Verzweiflung durch Liebeskummer in einen Fluss ging und ertrank.

Ganz deutlich hatte sie vor sich, dass dies so zu ihrem Schicksal gehört und andere Krankheiten andere Ursachen haben. Tief dankbar schaute sie auf ihre Aufgabe, anderen Menschen in ihren Nöten beistehen zu können aus der inneren Sicherheit, dass alles Ausgleich ist oder in der Zukunft sich ausgleichen wird.

Bei einem ganz mit der Christengemeinschaft und Anthroposophie verbundenen Ehepaar zeigte sich bei dem Mann eine außerordentlich schmerzhafte Erkrankung. Alle Behandlungen und Schmerzmittel brachten keine Linderung, und in ihrer Hilflosigkeit meinte seine Frau, sie könne das nicht mehr aushalten und mittragen. Er tröstete sie mit den Worten: »Aber der Christus hat doch auch gelitten und leidet jeden Schmerz mit.« Durch seine Haltung erlebte sie nun, wie ihr selber eine gesundende Liebekraft zuströmte, die sie als Christus-Substanz erleben konnte und fand im Vaterunser die Möglichkeit, ihre eigene Hilflosigkeit zu überwinden.

Krankheiten, Krankheitsverläufe, Leiden sind trotz all der großartigen medizinischen Forschungen oft nicht zu verhindern oder zu beeinflussen. Sie durchzutragen aus dem, was gesund ist, nicht betroffen ist von der Krankheit, aus dem höheren, ewigen Ich, gehört zu unseren großen Menschheitsaufgaben. Damit können, so Rudolf Steiner, ahrimanische Kräfte überwunden werden. Dabei ist sehr wesentlich, was Angehörige, Pflegende, Freunde an Zuwendung einsetzen, an Fürsorge, Mitgefühl, Geduld, Liebe, auch mit ihren betenden Gedanken. Der Mensch erlebt sich durch diese Gebärden angeschlossen an den Lebensstrom des Auferstandenen und seine gesundenden Heilkräfte.

 

In jeder Schicksalsgegebenheit kann für den betroffenen Menschen aus dem Spruchgut von Rudolf Steiner vielleicht Folgendes hilfreich sein (aus: Seelenübungen, GA 267, S. 412):

 

Ein Stern über dem Haupte

Christus spricht aus dem Stern

 

Lasse tragen

Deine Seele

Von meiner starken Kraft

Ich bin bei dir

Ich bin in dir

Ich bin für dich

Ich bin dein ich.

Seelenruhe

 

Und als Fürbitte für andere, von unbekanntem Verfasser, folgende Worte:

 

Herr, lege Deine Hände auf ihre Schultern,

sprich ihnen mit Deiner Stimme ins Ohr,

senke ihnen Deine Liebe ins Herz,

hilf ihnen zu erfüllen,

was Du mit ihrem Schicksal vorhast.

 

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1  Kapitel 20