Nur ein Blick – Eine Karfreitagsgeschichte

AutorIn: Friedhelm Zimpel

Es war ein kühler Frühlingsmorgen, als ich mit dem Gefühl erwachte: »Dieser Tag wird etwas Besonderes bringen.« Ob ich geahnt habe, dass er mein ganzes Leben umstülpen würde?! Ich fühlte mich wie in Kindertagen, wenn ein großes, heiliges Fest bevorstand: erfüllt von freudiger Erwartung und zugleich von ernster Scheu und Ehrfurcht. »Würde ich auch dem Außergewöhnlichen gerecht werden, was von mir erwartet wurde?!«

Der Tag begann mit den üblichen Festvorbereitungen: Während meine Frau mit den Dienern und Mägden das Haus schmückte, wollte ich noch einmal die Arbeit auf den Äckern in Augenschein nehmen. Alles verlief zu meiner Zufriedenheit. Noch bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, überließ ich das Weitere meinen beiden Söhnen und den Knechten, und begab mich auf den Heimweg, stadtwärts.

Vom Stadttore her kam mir ein lärmender Zug entgegen: Männer, Frauen und Kinder, in heftiger Erregung durcheinander schreiend; ein ganzer Trupp Soldaten und allerlei Gesindel. »Ich sollte lieber einen Bogen um diesen Tumult herum machen«, dachte ich, »ich will mit diesem Getümmel nichts zu tun haben!« Aber ohne dass ich es wollte, wurde ich mitgerissen, denn immer mehr Volk strömte zusammen.

Der Zug stockte und ich versuchte mir gerade einen Weg aus der Menge zu bahnen, als einer der Soldaten, mit ausgestrecktem Finger, in meine Richtung wies: »Meinte er mich? Nein, das konnte doch nicht sein! Damit war wohl ein anderer gemeint!« Schon fühlte ich mich von zwei starken Händen ergriffen, mein rechter Arm wurde nach hinten gebogen, mein linker über den Kopf gehalten und etwas Hartes und Schweres wurde auf meine Schultern gedrückt. Empört wollte ich aufschreien, da tönte dicht neben mir der laute Befehl: »Du bist es, du trägst es! Los, voran!« Ich fühlte eine starke Last auf dem Rücken; vor Wut und Scham stieg mir das Blut in den Kopf. Wut: »Warum denn ich?! Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun!« Und Scham: Vor allem Volk wurde ich gezwungen einem offensichtlichen Verbrecher, der hier zu seiner Hinrichtung schritt, sein Kreuz zu tragen! Ein harter Schlag auf den Rücken brachte mich in Bewegung: »Los, nun geh’ schon! Marsch!«

Vor mir schleppte sich der Verurteilte mühsam weiter. Er war übel zugerichtet und trug überall Spuren der Marter und Peinigung. Nach drei Schritten blieb er stehen, wendete den Kopf und sah mich einen Augenblick an, bevor er von einem der Kriegsknechte vorwärts gestoßen wurde.

Dieser kurze Blick traf mich wie ein Blitzschlag! Es durchglühte mich wie ein Sprung durchs Feuer. Meine Seele wurde in der Tiefe aufgewühlt. Wenn ich es jetzt erzähle, versuche ich Worte dafür zu finden: »Was sprach aus diesem Blick?!« Bestürzt merkte ich: »Das ist kein Verbrecher! Das ist die Güte selber!« Es traf mich der Strahl seiner Dankbarkeit bis ins Herz. »Du hast mich errettet«, schien er zu sagen, »trägst meine Last!« (Obwohl ich ja dazu geprügelt worden war!) Es war ein Blick, der mich adelte: »Du bist einer, der mit trägt an der Last der Welt. Du bist stark und würdig, ein wahrer Mensch genannt zu werden!« Im Blick dieses gemarterten, mit letzten Kräften sich hinschleppenden Menschen fühlte ich eine überströmende Liebe und die Gewissheit: »Er kennt dich!«

Die schweren Balken, die ich tragen musste, habe ich kaum noch gespürt, obwohl es einen steilen Hügel bergauf ging. Umhüllt von seiner Dankbarkeit und Liebe, habe ich das Weitere nicht bewusst erlebt.

Schließlich wurde mir die Last abgenommen. Erfüllt mit dem kostbaren Schatz dieser Begegnung, strebte ich nach Hause. Alles erschien mir wie ein wunderbarer Traum.

Im Hause wurde ich erwartet; am frühen Abend sollte das Fest beginnen. Meine Frau sagte später, ich hätte so geleuchtet, als ich nach Hause kam, dass sie an Moses denken musste, von dem die Schrift erzählt, dass sein Antlitz wie die Sonne glänzte, als er vom Berge herunter kam, auf dem Gott mit ihm gesprochen hatte.

Dieses Ereignis überstrahlt seitdem mein Leben. Auch heute noch, wenn ich die Augen schließe, spüre ich Seinen Blick. Ich habe andere getroffen, die eine Begegnung mit Ihm hatten. Oder die durch ein Wort oder eine Berührung von Ihm geheilt wurden. Ich verstehe jetzt, dass Sein Blick durchwärmen und heilen konnte; und Sein Wort einem Menschenleben eine neue Richtung gibt.

Ich heiße Simon. Meine Familie stammt aus Nordafrika, aus der Landschaft Kyrenaika. Meine beiden Söhne, Ale­xan­der und Rufus, sind vor einigen Jahren nach Rom gezogen und gehören dort zur Gemeinde der Christen. Und ich selber versuche seitdem, die Lasten der anderen mit zu tragen, wenn es nötig ist. Sehe ich Menschen, von denen Dunkles ausgeht oder die Ungutes im Sinne haben, so denke ich: »Wisst ihr denn nicht, dass ihr damit Sein Kreuz immer schwerer macht?«