Zuversicht und Hoffnung

AutorIn: Georg-Henrich Schnidder

Jetzt weiß ich, dass ich’s kann«. Drei Wochen waren wir über Schwedens Flüsse und Seen gepaddelt, in einer aus heutiger Sicht aberwitzig großen Gruppe. Zwar mit gründlicher Vorbereitung, aber als Gruppe ganz auf sich gestellt, ohne Auto, ohne Mobiltelefon (es war vor Handy-Zeiten), ohne vorbereitete Zeltplätze. Hatten Regen, Hitze, Müdigkeit und manchmal Hunger ausgehalten und waren nun glücklich, verschwitzt und müde ans Ziel gelangt. »Geschafft!« Da stand dieses junge Mädchen, freudig-sicher und sagte als Zusammenfassung dieser Tage: »Jetzt weiß ich, dass ich’s kann! Alle haben immer gemeint, das schaffe ich nicht, ich weiß es jetzt besser.« Und sie erzählte von ihrem Traum, mit dem eigenen Pferd allein von Norden nach Süden durch Deutschland zu reiten – was sie tatsächlich im Jahr darauf getan hat. Was kann ihr wohl diese Zuversicht, dieses Vertrauen auf sich selbst gegeben haben? Sie hat es nicht erklärt, wurde nicht gefragt, aber im Rückblick ist es deutlich: die Erfahrung, dass wir als Menschen selbständig, ohne Hilfe von anderen, denken und handeln können. Wir haben in uns selber diese Instanz, die uns Wege und Auswege finden lassen kann, auch wo es keine gebahnten Wege gibt. Sagte man doch früher: »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!«

 

In der Michaelizeit 1725 komponierte J.S. Bach eine Kantate mit dem Text: »Ich habe meine Zuversicht auf den getreuen Gott gericht, da ruhet meine Hoffnung feste; wenn alles bricht, wenn alles fällt, wenn niemand Treu und Glauben hält, so ist doch Gott der allerbeste«. Zuversicht scheint hier eine innere Haltung zu sein. Dabei ist »Sicht« ja eigentlich ein räumlicher, vielleicht auch zeitlicher Begriff. Ein Autofahrer sollte im Nebel »auf Sicht« fahren, ein Bootsführer im Schärengarten ebenso und sich nicht allein auf die Technik verlassen. Wenn die Sicht sich dann erweitert, weil der Nebel sich hebt, die Sonne durchbricht, dann ist es »Zu-versicht«. Der Blick, die Reichweite des Bewusstseins wird größer, umfasst mehr. So beschreibt Bachs Textdichter nicht so sehr ein Gefühl oder ein Wünschen, sondern einen Bewusstseins-Zustand. Andere nannten es später »Wandeln vor Gott«. Dabei ist das Wandeln »vor« immer ein Wandeln »mit«, denn der Mensch ist dabei nicht Zuschauer, sondern tätig. Er hat sich mit der richtigen Ausrüstung, mit Proviant und Ähnlichem »ver-sehen«. Zuversicht ist nicht Gefühl, sondern Ausrüstung für die Lebens- und Sterbereise. So war es früher auch auf Todesanzeigen gemeint: »Versehen mit den heiligen Sakramenten verschied …«

 

Zuversicht mag altmodisch klingen, Hoffnung jedoch nicht. Der Urlauber hofft auf Sonnenschein, der Landwirt auf Regen, der Politiker auf Wahlerfolg. Alle sind sie »Hoff-Männer« (Leserinnen mögen den Kalauer verzeihen!) Dabei ist das eigentlich bloßes Wünschen. Ein Wünschen, dass etwas Günstiges eintritt, frei nach dem Prinzip: »Glück, hier bin ich, du kannst kommen!« Für solcherart Hoffen scheint ja der Anker das rechte Symbol zu sein. Dieses Symbol wird ja gerne zusammen mit Herz und Kreuz am silbernen Kettchen jungen Damen zur Konfirmation o.ä. geschenkt. Der bibelkundige Leser weiß jedoch, dass sich »Anker der Hoffnung« auf einen Satz im Hebräerbrief über die Hoffnung bezieht: In ihr haben wir gleichsam einen sicheren und festen Anker der Seele, der bis ins Innere hinter den Vorhang hineinreicht (Hebr 6,19). Wozu ein theologischer Kommentator bemerkt: »Die Bildkombination ist schief: der Anker sichert durch Festmachen, will aber hier den Himmel gewährleisten«. So denkt, wer von den Verhältnissen in motorloser Zeit nicht genug weiß. Anker ist hier nicht »Festmacher«, sondern Heranholer, nämlich ein Wurfanker, auch Warp- oder Schleppanker genannt. Er wird, gerade bei geringer Wassertiefe, in ausreichendem Abstand Richtung Land ausgebracht und das motorlose Schiff mit Hilfe der Ankerleine herangezogen. Durch diesen Anker kommt der Mensch mit dem Schiff vorwärts, bis letztlich über die Grenze zwischen Wasser und Land.

Hoffnung – die Kraft, die vorwärtsbringt, wenn auch mit Anstrengung. Wenn – und das ist entscheidend – es einen festen Halt Richtung Ziel gibt, in diesem Fall »hinter dem Vorhang«. Das meint ja das Allerheiligste im Jerusalemer Tempel mit der Gegenwart Gottes hinter dem Vorhang, der diesen Bereich verbarg. Und mit heutigen Begriffen setzt diese Stelle fort: den Zugang zum gegenwärtigen Gott im Hier und Jetzt, zur göttlichen Welt im Diesseits, finden Christen durch die Tat Christi, der für die ganze Menschheit Hohepriester geworden ist. Er verbindet die Sphären Mensch – Gott, sterblich – unsterblich und wirkt zwischen innen und außen hin und her. Mit ihm kann der Christ ins »Esoterikon«, das Innerste gelangen, auch wenn er sich im »Exoterischen« fühlt.

 

Deshalb steht im Bekenntnis der Christengemeinschaft neben dem Wort »hoffen« das andere: »dürfen«. Christen »dürfen« hoffen, nicht weil es jemand erlauben oder verbieten könnte, sondern weil es einen »Grund«, einen Anlass für Hoffnung gibt. Das Bewusstsein, das Gefühl, die Ahnung von der Gegenwart Christi unter den Menschen ist Grund zur Hoffnung. Diese Gegenwart kann im Gebet, im Schicksal, besonders im Sakrament bemerkt werden, auch von denen, die den Namen nicht kennen, aber die »heilbringende« Macht Christi empfinden. So darf man wirklich sagen: Ohne die Tat Christi und seine fortdauernde Gegenwart (griech.: Parusie) wäre die Zukunft der Menschheit hoffnungs-los. Aber Menschen »dürfen« hoffen, dass es mit dem Menschen und der ganzen Menschheit vorwärtsgeht, was auch immer geschieht, auch in schweren Zeiten. Denn vor dem festen Land ist die Brandung oft am wildesten.

»Jetzt weiß ich, dass ich’s kann«, sagte die Jugendliche, nachdem sie ihre eigene Schöpfer- und Bewältigungskraft entdeckt hatte. Wer die stärkende Schöpferkraft des Christuswesens auch nur ein wenig ahnt, darf zuversichtlich hoffen, dass auch für ihn der alte Spruch gilt: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott! Als ob das zweierlei wäre!