Einladung zum Näherkommen

AutorIn: Ulrich Meier

Navid Kermani geht in seinem neuen Buch in bezaubernder und liebevoller Weise auf »Fragen nach Gott« ein. Der Tochter, auf deren Rückkehr aus der Schule er schreibend wartet, bereitet er die abendliche Lesung aus dem Buch vor, »das Opa sich gewünscht hätte«. Aus den aufgenommenen Fragen des Vorabends werden wir dem Kind vertraut, dem sich der Vater zuwendet, wenn er vom Unaussprechlichen zu sprechen versucht. Schnell verschmilzt man als Leser mit diesem Kind, genießt den Humor und die Sorge um Überforderung, die Kermani als willkommene Zutaten dem täglichen Kapitel beifügt.

Nur vordergründig geht es um eine Einführung in den Islam – vielmehr erlebe ich den Band als ein zeitgemäßes und menschenfreundliches Plädoyer für die (Wieder-)Entdeckung eines religiösen Weltbildes und Menschenverständnisses. Die Virtuosität, mit der Kermani auch die jüdische und christliche Geschwisterreligion einbezieht, verleiht diesem Tagebuch den Charakter einer Einladung zum interreligiösen Dialog. Kind und Lesern mutet er darin Ausflüge in die Quantenphysik, etliche sprachwissenschaftliche Details sowie ein herzerwärmendes Goethe-Kapitel genauso zu wie seine eigenen Grenzen und Untiefen im Glauben.

Legt man das Buch aus der Hand, bleibt das Empfinden, in der eigenen inneren Suche einen neuen Bruder gefunden zu haben, dessen Begleitung auf schönste Weise nachwirkt: dass Grenzen und Differenzen nicht unser Problem, sondern nur den Anfang der Missverständnisse markieren, die Kermani mit Sätzen wie diesen elegant aus der Welt befördern hilft: »Der Reichtum der Welt liegt in den Unterschieden. … Denn indem sie sich abgrenzen, nehmen Kulturen zugleich von anderen Kulturen auf: Auch für einen Dialog braucht es mindestens zwei; sogar die Berührung, also die zärtlichste, freundlichste, intimste Geste überhaupt, setzt eine Distanz voraus, die sie überbrückt.«