Leben im Heute – der Zukunft gegenüber

AutorIn: Mechtild Oltmann-Wendenburg

Das Verhältnis der Menschen zur Zukunft hat sich in dem Augenblick verändert, da man begonnen hat, die Zeit zu berechnen und zu messen, als sie sozusagen »auf die Erde fiel« und mit mechanischen Geräten wie Uhren und anderen Messgeräten sichtbar geworden ist, ­äußerlich ablesbar. Seither entsteht das Zukünftige in den Vorstellungen und Erwartungen oft aus einer Verlängerung der Vergangenheit, wie in einer Hochrechnung des Gegenwärtigen. Sätze wie »wenn das so weitergeht« oder »wenn wir das noch erleben«, die heute manchmal zu hören sind, stammen daher.

Eine andere Zukunftshaltung ist mehr die, dass sie »kommt«, die Zu-kunft kommt auf uns zu, sie ist oft unberechenbar und voller Überraschungen.

Genau berechenbar geworden sind dagegen schon seit langem kosmische Vorgänge wie Sternenkonstellationen. Wo kämen wir hin, wenn die Sonne nicht genau zu der Zeit aufginge, die im Kalender steht?

 

Ganz anders war das Verhältnis zur Zukunft in früheren Zeiten, in denen Menschen auf der Erde lebten, die dazu berufen waren, Voraussagen zu machen, die über alles Berechenbare hinausgehen, und sie zu verkünden: die Propheten. Ein solches Wissen hatte – wie heute – oft mit Katastrophen, Kriegen und Untergängen zu tun, aber da sie ja angesagt wurden, ging man davon aus, dass sie gottgewollt und notwendig waren. Sie wurden dann vielfach anerkannt als ein gerechter Ausgleich etwa einer Schuld oder eines Unrechts.

Auch die Engel werden oft als Boten und Botschafter der Zukunft verstanden. Sie können Warnungen, Unheil, aber auch »große Freude« vorhersagen. Was auch immer der Inhalt der Botschaft war, es wurde in der Vergangenheit in diesem verkündeten Wissen noch eine Geborgenheit erlebt in dem Bewusstsein, Teil einer größeren Ordnung zu sein.

Auch heute gibt es einzelne Menschen, die sich sicher sind, Zukunft vorhersagen zu können, auch ohne dass diese äußerlich berechenbar wäre. Die Frage ist aber berechtigt, wem bei solchen Phänomenen vertraut werden kann. Welches sind jetzt die Kriterien dafür, dass eine Prophetie glaubwürdig ist?

 

Gewöhnlich haben wir gegenüber dem Unbekannten, das uns die Zukunft bringen wird, zwei Stimmungen in der Seele: Angst oder Wünsche. Beide haben sich schon oft als ungeeignet erwiesen, etwas Objektives wahrzunehmen, und können leicht zu Täuschungen führen.

Im Markus-Evangelium (in der Ölbergapokalypse, Mk 13,32) gibt es eine bemerkenswerte Stelle in Bezug auf unser Thema und im Zusammenhang mit der Katastrophe des Untergangs von Himmel und Erde: »Über jenen Tag oder die Stunde weiß niemand etwas, nicht einmal die Engel im Himmel, auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater.«

In der Apokalypse des Johannes bekommt der Seher ausnahmsweise einmal die erstaunliche Mitteilung: »Schreibe nicht!«, dort, wo es um die sieben Donner geht und das, was durch sie durch den Himmel tönt. Möglicherweise geht es da um die Zukunft von Menschheit und Erde, die sie ankündigen (Offb 10).

Mit aller gebotenen Vorsicht darf jetzt vielleicht einmal diese Sphäre geheimnisvollen Wissens, die im Unausgesprochenen und Ungeschriebenen liegt, der allerheiligste Bereich des Vaters genannt werden. Er schweigt, in unserem eigenen Schweigen. Bewegt man das in seinem Herzen, so kann man eine wunderbare Trinität in diesem Raum der Stille im Blick auf die Zukunft finden: die Gelassenheit, die Bejahung und den Mut gegenüber allem, was immer auch geschieht.

Das heißt aber in apokalyptischer Sprache: Es kann niemand in der Gegenwart die Zukunft wissen, auch hierarchische Wesen nicht, weil sie durch den Menschen in seiner Freiheit entschieden werden darf und soll.

Hilfreich in der Ohnmacht einer solchen Verantwortung ist ein Gebet, in welchem der Gedanke verwirklicht werden kann: Durch meinen Willen geschehe der Deine und Dein Reich komme zu uns.