Zwangspause und Pausenquell

AutorIn: Ruth Ewertowski

Die Arbeit im Homeoffice hat seit der Pan­demie stark zugenommen. Das fordert von vielen Menschen sehr viel mehr Selbstdisziplin, als wenn sie ins Büro gingen und die üblichen Kaffeepausen machen und das Essen ­gemei­n­sam mit den Kollegen in der Kantine einnehmen wür­den. Aber laut Arbeitsgesetz (§ 4) müssen auch zuhause Pausen eingehalten werden, und der Arbeitgeber ist verpflichtet, darauf zu achten, dass das auch geschieht. Nach einer Arbeitszeit von sechs Stunden muss eine Pause von 30 Minu­ten eingelegt werden. Nach mehr als neun Stunden Arbeit sind 45 Minuten Pause Pflicht. Die Pause ist eine Arbeitsunterbrechung, die nicht bezahlt wird. Sie kann auch in kleinere Zeit­abschnitte aufgeteilt werden, diese müssen aber mindestens 15 Minuten dauern. Im Schichtbetrieb sind Kurzpausen von 5 Minuten nach jeder vollen Stunde möglich. Für Jugendliche gelten noch einmal andere Regeln. Die Pausen sind im Vorhinein innerhalb eines gewissen Zeitraums festzulegen. Es ist nicht möglich, keine Pause, dafür aber früher Schluss zu machen.
Ohne Pausen können wir nicht leben, und so ist dies alles wichtig und richtig. Auch scheinen Menschen immer wieder vor Selbstüberforderung geschützt werden zu müssen, und das auch im Interesse anderer. Das betrifft z. B. Lkw-Fahrer, bei denen die Unfallgefahr wächst, wenn sie zu lange am Steuer sitzen. Ein Problem ist allerdings die Praktizierbarkeit und die Überprüfung von Pausen. Dass Pausen nicht immer nach Gesetz machbar und kontrollierbar sind, treibt in unserer reglementierten Welt manche Stilblüten.
Besonders Außendienstmitarbeiter können von der Ungerechtigkeit in der Anwendung eines gut gemeinten Gesetzes betroffen sein. Wenn etwa die stillstehende Maschine eines Kunden schnells­­tmöglich repariert werden muss, damit der Betrieb wieder läuft, wird der Kunde wenig Verständnis dafür haben, dass der herbeige­rufene Techniker jetzt unbedingt eine Pause machen muss, auch wenn er sich schon eine Weile bemüht hat. Das sollte erst geschehen, wenn die Maschine wieder läuft. Und der ­Techniker verzichtet wohl auch auf seine jetzt eigentlich zu nehmende Pause, weil er die Not des Kunden sieht. Er verzichtet aber auf seine Kosten, denn ihm werden vom Arbeitgeber pauschal die gesetzlich vorgeschriebenen Pausenzeiten abgezogen, obwohl er – bedingt durch den Arbeitsablauf – gar keine Pause gemacht hat.
Dann gibt es da den Fahrer einer Umzugs­firma, der heute nicht mehr nach Hause fahren kann, weil er sonst die vorgeschriebene tägliche Arbeitszeit überschreiten würde. Er muss wegen einer Stunde zu langer Arbeitszeit im Hotel über­nachten.
Und da ist der Zusteller, der ein Retouren­paket nicht annehmen kann, weil sein elektronisches Zeitmanagement die Zeit für eine mög­licherweise längst überfällige Pause vorschreibt und nun die elektronische Erfassung des Pakets verweigert.
Natürlich sind die Pausen unabdingbar, aber es bleibt doch merkwürdig, dass ausgerechnet etwas, was einer inneren Uhr und Notwendigkeit folgen sollte, von außen so reglementiert wird, dass abstrakt geplant werden muss, wann die Pause fällig ist. Im Internet findet man Foren von Lkw-Fahrern, die sich über das Austüfteln ihrer Fahrten unter Berücksichtigung der verpflichtenden Pausen- und Ruhezeiten unterhalten. Denn die Ruhezeit kommt auch noch dazu. Vorgeschrieben sind im Regelfall elf Stunden Ruhezeit vom Ende eines Arbeitstages bis zum Beginn des nächsten.
Wahrscheinlich müssen immer mehr Menschen wirklich zu Pausen und Ruhe gezwungen werden, weil ihnen das natürliche Gespür für die Unterbrechung der Arbeit verloren gegangen ist. Das lässt allerdings auch Rückschlüsse auf die Qualität der ­Arbeit zu: Wie oft ist sie einfach von der Art, dass man sie hinter sich bringen will, um danach die ersehnte Freizeit zu haben, in der erst das eigentliche Leben spielt.
Pausen aber bekommen einen ganz anderen Charakter, wenn die Arbeit von Sinn getragen und im besten Fall schöpferisch ist. Gerade bei einer schöpferischen Arbeit gehört die Pause, die Unterbrechung, die Nachtruhe ganz unbedingt dazu. Was in der Stunde oder am Tag zuvor in eine Sackgasse geführt hat und nicht weitergebracht werden konnte, das lässt sich völlig neu greifen, wenn man losge­lassen, eine Pause gemacht und Ruhe gehabt hat. Oder aber die Ruhepause ist das zufriedene Ausatmen nach vollbrachtem Werk und geht neuen Werken voran.
Auch auf der höchsten Ebene, nämlich der der Schöpfungsgeschichte, gibt es Pausen. Auf jeden Schöpfungstag folgt eine Zäsur, eine Pause. Am nächsten Tag wird neu ­angesetzt und am Abend des Tages zurückgeblickt: Es war gut so. Die Pausen aber sind während der sechs Schöpfungstage organisch – undenkbar, dass etwa die Erschaffung von Himmel und Erde durch eine messbaren Pause ­unterbrochen worden wäre. Und am siebten Tag, dem Tag der Voll­endung, folgt die Ruhe. Es ist ein geheiligter Tag, ein ­Feiertag. Für unsere Arbeitswelt bedeutet ­die­ser Feiertag bis heute das Ruhen aller Geschäfte, aller Zweck-Mittel-Relationen, eine Besinnung auf das Schöpfungswerk und das Schöpferische. Zu diesem Schöpferischen steht die Arbeit in ­einem andauernden Spannungsverhältnis. Das macht die conditio humana aus: Können wir die Arbeit schöpferisch werden lassen?
Oder besteht sie darin, dass wir eine Strecke, ­einen Stapel, einen Berg von was auch immer abarbeiten.
Wir dürfen und dürfen es nicht: unsere Arbeitswelt mit dem Schöpfungswerk Gottes vergleichen. Wir kennen alle die Arbeit »im Schweiße unseres Angesichts«, und tatsächlich erfordert die Pause hier eine Art Disziplin, mit der wir uns von der Arbeit erholen und uns den Schweiß abwischen. Hier müssen einfach Pausen gesetzt werden. Aber wir müssen auch danach fragen, was wir tun können, damit das ­Verhältnis von Arbeit und Pause organisch wird. In einer sinngetragenen Arbeit wird man die Pausen auch als den Quell der Arbeit erleben, sie gerne zu gegebener Zeit machen und sie gerne beenden.