Grab und Quelle – Notizen zu Klopstock

AutorIn: Sophia Vietor

Friedrich Gottlieb Klopstock starb am 14. März 1803 in Hamburg und hinterließ ein reiches Werk, das die Zeitgenossen zunächst begeisterte, dann aber immer mehr in Vergessenheit geriet. Es ist kaum vorstellbar, wie groß damals die Anteilnahme war, so dass in den Grabstein eingemeißelt wurde: »Deutsche nahet mit Ehrfurcht und mit Liebe der Hülle eures größten Dichters.« Aus heutiger Sicht scheinen uns Goethe, Schiller, Hölderlin und Novalis bedeutender gewesen zu sein, aber wie hätten diese ihre großen Dichtungen schreiben können, wenn nicht Klopstock die deutsche Sprache auf ein noch nie dagewesenes Niveau gehoben und veredelt hätte? Als erste Anregung zu einer weiteren Beschäftigung mit seinem Leben und Werk, möchten diese Notizen ermuntern.


Die Grabstätte neben der Christianskirche in Ottensen

Wer Hamburg besucht oder hier wohnt, kennt sicherlich den weiten Blick vom Altonaer Balkon über die Elbe und den Hafen bis zur Köhlbrandbrücke. Doch wer hat schon bemerkt, dass sich gleich gegenüber auf einem alten Friedhof Klopstocks Grab befindet? Seine Bestattung im Jahr 1803 kam einem Staatsbegräbnis gleich, so viele prominente Trauergäste geleiteten den Sarg vom Wohnhaus in der Innenstadt durch das Millerntor nach Ottensen, das damals noch ein Dorf war und zu Dänemark gehörte. Alle Glocken der Hamburger Kirchen läuteten, und in der Christianskirche fand eine würdevolle Trauerfeier mit viel Musik und Lesungen aus seinen Dichtungen statt, bevor Klopstocks Sarg neben dem Grab seiner ersten Frau Meta (geb. am 16. März 1728 als Margareta Moller) der Erde übergeben wurde.
Da sich Meta gewünscht hatte, bis »zu ewigen Tagen« neben ihm zu ruhen, hatte Klopstock ein Jahr nach ihrem Tod diese gemeinsame Grabstätte erworben und den Sarg umbetten lassen. Obwohl er im hohen Alter zum zweiten Mal ­heiratete, blieb Meta die entscheidende Frau in seinem Leben. Sie hatten sich kennengelernt, nachdem die ersten drei Gesänge von Klop-
stocks Helden-Epos Messias 1748 in den Bremer Beiträgen erschienen waren. Eine von Metas Freundinnen hatte aus dem Papier Locken­wickler gefertigt, die Meta auf der Toilette entdeckte. Schon von diesen Auszügen war sie so ergriffen, dass sie den Autor unbedingt kennenlernen wollte. Der gemeinsame Freund Nicolaus Dietrich Giseke vermittelte ein erstes Treffen, als Klopstock 1751 über Hamburg nach Kopenhagen reiste, wo ihn der dänische König Friedrich V. mit einer Lebensrente erwartete, damit er den Messias ohne finanzielle Sorgen vollenden könnte.
Nach einer ersten unerwiderten Liebe, war es für Klopstock beglückend, von der gebildeten Hamburger Kaufmannstochter Meta nicht nur verstanden, sondern innig geliebt zu werden. Trotz familiärer Einwände heirateten sie am 10. Juni 1754 in der Hauptkirche St. Petri. Es war ein tiefes religiöses Einverständnis, das ­diese Liebesverbindung von Anfang an trug und beflügelte. Als Meta dann am 28. November 1758 bei der Entbindung des ersten und toten Kindes starb, bewährte sich ihr gemeinsam gepflegter Glaube an die Erlösung der Seelen. Es ist berührend, die Briefe zu lesen, mit denen Meta sich auf ihren möglichen Tod bei der Geburt des Sohnes vorbereitete. Ihre Liebe und freigewählte Ehe wurde für viele Menschen im 18. Jahrhundert zum Vorbild, so dass sie auch an Metas frühem Tod und Klopstocks schmerzlichem Verlust regen Anteil nahmen.
Die erst 1956 veröffentlichten Briefe aus der Brautzeit spiegeln in einer lebendigen natür­lichen Sprache die liebevolle Zuneigung des ­Paares, welche alle Lebensbereiche einschloss. Da Meta als einzige in der Lage war, Klopstocks Handschriften zu entziffern, schrieb sie noch im Todesjahr den 11. und 13. Gesang des Messias ab. Daraus wählte sie zwei Stellen für die Beschriftung ihres Sarges aus, die ihre Einstellung zum Tod zeigen:

War dies der Tod? O sanfte
Schnelle Trennung wie soll ich dich nennen? Tod nicht! So heisse,
Tod, so heisse dein Name nicht mehr! Und du der Verwesung
Fürchterlicher Gedanke, wie schnell bist du Freude geworden!
Schlummre denn mein Gefährte des ersten Lebens! Verwese!
Saat von Gott gesät, dem Tage der Garben zu reifen.

Wie viel, u. welche Leben empfind ich!
Welche werden um mich geschaffen! Wie steig ich! Nicht Eine,
Tausend Stufen werd ich zum Wesen der Wesen erhoben!
Wenn du, meine Verklärung, vollendet bist, ja dies weissagt
Mir mein Gefühl, dann werd ich noch über tausend mich schwingen!
Werd ich, in der Hülle mir dann viel schönerer Welten
Werd ich, ohne die Hülle der Welten, den Ewigen schaun!1

    
Beide Stellen wurden in der ersten Fassung des 11. Gesangs vom Mitgekreuzigten gesprochen, nachdem Christus ihm seine Sünden vergeben hatte. Erstaunt erlebt er, wie sich seine unsterbliche Seele aus dem irdischen Leib löst, um zum Himmel aufzusteigen. Bei der späteren Überarbeitung übertrug Klopstock die zweite Stelle in den 12. Gesang und ließ sie Maria aus Bethanien zu ihrem Bruder Lazarus sprechen, nachdem die­se bei der Nachricht von der Kreuzigung Jesu gestorben war. Was Klopstock beim Abschied seiner geliebten Frau miterlebt hatte, mag ihn zur Ausgestaltung dieser neuen Szene bewo­gen haben, so wie er Jahre später im 15. Gesang ­Cidlis Tod und Verklärung ähnlich schilderte wie Metas letzte Stunden in seinen Briefen.2
Als Klopstock 1759 Metas Hinterlaßne Schrif­ten veröffentlichte, nahm er neben wichtigen Kondolenzschreiben auch ihre vorausahnenden Briefe von Verstorbenen an Lebendige auf, in denen sie einen Seligen an seine hinterbliebene Frau schreiben lässt:

Eine Liebe wie unsre Liebe – sie war Gott wohlgefällig, weil wir ihn nicht dabey vergaßen, weil wir ihm dankten, daß wir uns gefunden hatten, und ihn zusammen anbeteten! O du Einzige, wie oft habe ich dich, in meinen Umarmungen, deine Augen gen Himmel heben und die volle Andacht deines Herzens darinn gesehn. O wie dankte ich dann Gott, der mir diese so gewiß zur Seligkeit bestimmte Seele gegeben hatte. Gehe hin, Cidli, und lehre auch das die Welt, die nicht glaubt, daß man zugleich lieben und beten könne.3

Nach dem letzten fiktiven Brief folgt ein Antwortschreiben Klopstocks an die nun tatsächlich verstorbene »Verfasserin dieser Briefe«. Er dankt ihr für das Glück des gemeinsamen Lebens auf Erden und den Segen ihrer völligen Hingabe an den Willen Gottes im Tode, der ihn mit »stiller Freude« erfüllte. Bei seinen Plänen für die gemeinsame Grabstätte findet sich auch ein Text­entwurf für Metas Grabstein, der die ganze Tragik und religiöse Tiefe ihrer Liebe zusammenfasst: »Margarete Klopstock erwartet da, wo der Tod nicht ist, ihren Freund, ihren Geliebten, ihren Mann, den sie so sehr liebt! und von dem sie so sehr geliebt wird! Aber hier aus diesem Grabe wollen wir mit einander auferstehn, du mein Klopstock, und ich, und unser Sohn, den ich dir nicht gebähren konnte.«4 Es ist die Sprache des Herzens, welche von den Dichterinnen und Dichtern der Empfindsamkeit geprägt wurde und viele Zeitgenossen zu Tränen rührte.
Bis heute steht eine der beiden Linden, die Metas Schwestern gepflanzt hatten, und breitet ihre schützenden Äste über beide Gräber aus. Als ich kürzlich dort war, wurde gerade das ­Carillon mit seinen über 40 Glocken gespielt und in der Kirche, die der dänische König Christian der VI. 1738 erbauen ließ, hängt bis heute der weiß-goldene Taufengel vor einem hellen Barockaltar. An diesem verborgenen Ort scheint die Zeit still zu stehen. Mitten im Lärm der Großstadt öffnet sich ein Tor in eine andere, lichtere Welt, von der diese beiden Menschen durch ihre Liebe, ihre Werke und ihren Tod Zeugnis abgelegt haben.


Schulpforta und erster Plan zum Messias

Schon während seiner sechsjährigen Schulzeit als Eleve des angesehenen Internats Schulpforta entschloss sich Klopstock, ein Helden-Epos über den Messias zu schreiben. Neben dem gründlichen Studium der Bibel hatte er auch die wichtigsten griechischen und lateinischen Schriftsteller im Original lesen gelernt und dabei festgestellt, dass es keine vergleichbaren Epen der zeitgenössischen deutschen Dichter gab. Nur Das verlorene Paradies von John Milton, das ihm in Johann Jacob Bodmers Übersetzung vorlag, schien ihm vom Inhalt her geeignet zu sein, die Erlösungsgeschichte der Menschheit neu zu erzählen. In seiner Abschiedsrede wagte er sogar die Äußerung, dass er Milton einmal zu übertreffen gedenke.
Schulpforta wurde als Zisterzienserkloster gegründet und nach der Reformation in eine der ersten humanistischen Fürstenschulen umgewandelt, um begabte Schüler unabhängig vom Vermögen der Eltern zu unterrichten. Heute noch vermittelt das gut erhaltene Ensemble mit seinen Kreuzgängen und Kirchen den Eindruck, dass dort die christliche Religion eine zentrale Rolle spielte. Mehrfach am Tag versammelten sich die Schüler zu Andachten, Bibellesungen und zum Singen von Motetten. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Schüler später Theologie studierten und Prediger wurden. Auch Klopstock war dafür vorgesehen und für zwei Jahre in Jena und Leipzig zum Theologiestu­dium eingeschrieben. Doch er fühlte sich zum Dichten berufen und hatte das Glück, lebenslang Förderer zu finden.
Von Bad Kösen führt ein Weg an der kleinen Saale entlang nach Schulpforta. Der schmale Fluss versorgte das Kloster nicht nur mit Wasser zum Baden und Waschen, sondern trieb auch die Papier- und Getreidemühlen an. Geht man durch den großzügigen Park an einer mächtigen alten Pla­tane vorbei zu einem kleinen Törchen, so kann man das Schulgelände verlassen und zur Klopstock-Quelle wandern. Der Weg verläuft durch einen grünen Auwald bis zu einer gemauerten Nische im Berghang, aus der frisches Quell­wasser sprudelt. Die Sonne scheint durchs Geäst und Vögel zwitschern oder baden im Wasser. Über der Quelle ist im Halbrelief Klopstocks Profil dargestellt, und es lässt sich an diesem idyllischen Ort gut nachempfinden, wie die Musen einst an der Kastalischen Quelle die griechischen Dichter ­inspirierten. Ob der junge Klopstock wohl in den wenigen Freistunden oft dort war, dem Plätschern lauschte und seinen Durst stillte? Weit spannte er im Messias den Bogen vom Anfang der Schöpfung bis hin zum Neuwerden der Erde am Jüngsten Tag. Schon im ersten Gesang wird das Bild der Quelle zur religiösen Metapher, die in rhythmisch strömender Sprache auf den »himmlischen Urquell« alles ­Lebens verweist:

    Wenn nun Gott die Kreise der Welten mit seinem Himmel
    Durch allgegenwärtiges Anschaun alle vereinet,
    Dann wird auch der ätherische Strom von dem himmlischen Urquell
    Wieder mit hellerer Schöne zum neuen Eden sich senken.5

Ähnlich wie in den Hymnen an die Nacht von Novalis wird in Klopstocks Messias das eigene Schicksal mit der christ­lichen Heilsgeschichte verwoben, da diese sich nur durch
die persönliche Hinwendung zum »Wesen aller Wesen« verwirklichen kann. Als »Gottmensch« und »Mittler« opferte sich der Messias, um den zürnenden Vatergott mit den ­Menschen zu versöhnen. Die unendliche Liebe des auf­erstandenen Christus ist die Freudenbotschaft, die in ­Klopstocks Leben und Hauptwerk zum Ausdruck kommt und auch uns begeistern möchte. Ob es wohl gelingen wird, seinen 300. Geburtstag am 2. Juli 2024 angemessen zu ­feiern?        

                      

1  Meta Klopstock geborene Moller. Briefwechsel mit Klop­­stock, ihren Verwandten und Freunden. Hrsg. von Hermann Tiemann mit einem Nachwort von Erich Trunz, 3 Bde. Hamburg 1956. Metas Testament befindet sich in Bd. I, S. 293–296, Nr. 133. Erl. Bd. III, S. 847f. Die Handschrift (SUB, KN 42/31 b) besteht aus einem Blatt von 1752 mit der Unterschrift »Meta Moller« und aus einem Doppelblatt, das mit »M. Kl.« unterzeichnet ist. Letzteres wurde erst 1758 beschrieben und enthält die zitierten Sprüche.

2  Hamburger Klopstock-Ausgabe (HKA). Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe. Berlin, New York ab 1974. Abt. Werke IV, Bde. 1–6 Der Messias Text und Apparat. Bd. 2 enthält: Gesang XI, Verse 836–845; Gesang XII, Verse 731–736; Gesang XV, Verse 420–475.

Hinterlaßne Schriften von Margareta Klopstock, Hamburg 1759, S. 30.

4  Ebda., S. LXXXIV.

5  HKA, Abt. IV, Bd. I, S. 7.

Dr. Sophia Vietor, geboren 1961, Germanistin, Malerin, Hamburg