Von wem gehen wir aus? Zum Bogen der Festeszeiten Passion – Ostern – Himmelfahrt

AutorIn: Dorothee Jacobi

Wenn ein Kind geboren wird, ist das ein großes Ereignis, das alle mitnimmt und bewegt, die damit zu tun haben. Genauso spannend wird es dann, wenn man miterleben darf, wie es weitergeht, wie es sich zu entwickeln be­ginnt. Denn darin, wie es sich bewegt und äußert und was es lernt, zeigt es oft schon in den ersten Wochen und Monaten, erst recht im ganzen ersten Jahr etwas von sich selbst, von ­seinem ganz eigenen persönlichen Wesen. Verstehen wird man manches davon erst viele Jahre später, rückblickend …
Im Herbst 2022 haben wir daran gedacht, wie die Christengemeinschaft vor 100 Jahren geboren wurde, indem die erste Menschenweihe­handlung am 16. September zelebriert wurde. Die­ses Gedenken wurde dann auch Anlass für die große Tagung im Oktober in Dortmund, die, von der Gründung ausgehend, Fragen und Impulse für zukünftiges Wirken bewegte.
Wie ging es denn damals weiter, sozusagen nach der Geburt, mit den ersten Entwicklungsschritten der Christengemeinschaft?
Es spricht etwas Charakteristisches, auf ihr innerstes Anliegen Hinweisendes aus ihrer Entwicklung in ihren ersten beiden Jahren.

Im Advent 1922 wurde in den meisten­ Gemein­den mit dem gemeinsamen Feiern der Menschen­weihehandlung begonnen. Der gerade erst ge­borene erneuerte Kultus wurde von Menschen aufgenommen, getragen und gepflegt, die damit das Gemeindeleben begannen. Das geschah 1922 aber noch nicht mit der Adventsepistel und der blauen Farbe am Altar und in den Gewändern, sondern in der trinitarischen Gestalt. Zu Weihnachten waren dann zum ersten Mal die Episteln zu den drei Handlungen und in den 12 Tagen zu hören. Auch das kann man als eine Art Geburt empfinden, weil damit die Menschenweihehandlung begann, sich in ihrer im christlichen Jahreslauf wandelnden Gestalt zu zeigen. Die Tatsache, dass dies an Weihnachten und zunächst nur da geschah, weist schon auf etwas hin: Schaut dort hin, der göttliche Sohn ist ­ge­boren, die Mitte des Weihnachtsgeschehens ist euch gegeben.
So konzentrierte sich das erste Weihnachten der Christengemeinschaft auf die Geburt Jesu Christi, während die vorbereitende Adventszeit und die nachklingende Epiphaniaszeit noch nicht da waren. Die Episteln und die Farbe der Epiphaniaszeit erschienen 1923 noch nicht, sondern erst im nächsten Jahr, also 1924 und damit anschließend an die Weihnachtstagung, bei welcher in Dornach die Allgemeine Anthroposophi­sche Gesellschaft durch Rudolf Steiner gegründet wurde. Innerlich verwandt mit ihr klingen darin die Motive des erleuchteten Denkens und des herzwarmen Fühlens an.

Die drei großen Bögen der christlichen Feste ­le­­ben im Wirken der Christengemeinschaft neu auf: Dem Vatergott zugewandt sind Advent, Weih­nachten und Epiphanias. Dem Sohnesgott verbinden wir uns in Passion, Ostern und Himmelfahrt. Der Geist erscheint göttlich wie mensch­lich in den Festen zu Pfingsten, Johanni und ­Michaeli.
Unter all den Festeszeiten sind es die des göttlichen Sohnes, des Christus Jesus, die als einzige gleich bei ihrem ersten Erscheinen vollständig da sind: Passion, Ostern und Himmelfahrt wurden im Jahr 1923 erstmals in dieser Gestalt und alle drei in ihrem gesamten Zusammenhang gefeiert, ohne dass noch etwas gefehlt hätte oder später hinzugekommen wäre.
Wie ein Hinweis, eine deutliche Geste kann darin erlebt werden: Auf ihn schaut, von ihm geht aus, der als Gottessohn Mensch wurde und sich ganz auf das menschliche Leben und das tiefste zu erfahrende Leiden einließ. Er nahm dieses Leiden und den Tod auf sich und konnte es auf diesem Wege verwandeln und in ein zukünftiges neues Leben führen. Es war eine einmalige Tat, geschehen durch diesen einmaligen Weg und seitdem wirksam für das weitere Leben des Menschen und der Erde. Von dieser Tat und dem Weg des Christus Jesus auszugehen, in ihnen die Mitte des christlichen Lebens zu sehen, das ist der Christengemeinschaft mitgegeben, indem dieser Weg im Festesbogen von Passion, Ostern und Himmelfahrt in ihrem ersten Jahr vollständig erschien.

Und wie ging es nun mit dem Geist und seinen Festen weiter?

Episteln und Farben zu Pfingsten und dann zu Michaeli wurden von Rudolf Steiner auch im Jahre 1923 gegeben, und zwar immer ziemlich knapp vorher. Die Priester und Priesterinnen mussten dann schnell abtippen, versenden, sich damit vertraut machen … Aber Johanni, das mittlere der dem Geist sich verbindenden Feste, war 1923 noch nicht da. Für diese Zeit, die sich ja dem ganzen Lebensfeld der Erde zuwendet, brauchte es wohl noch etwas Besonderes …
Im Juni 1924 hielt Rudolf Steiner in Kobierzyce (damals Koberwitz, bei Wrocław, damals Breslau) den landwirtschaftlichen Kurs, durch den die biologisch-dynamische Landwirtschaftsweise ihre Grundlagen erhielt. Und während dieser Kurstage erhielten die anwesenden Priester die Johanniepistel.
Welch ein wichtiges Zukunftsmotiv zeigt sich wiederum darin: die letzte Epistel, durch die der christliche Festeskreis vollständig wurde, erschien im nahen Zusammenhang mit einer erneuerten Landwirtschaft, mit der Sorge für die Erde als tiefstem Anliegen. Ein Zukunftsauftrag? – Eine der ersten Schriftenreihen innerhalb der Christengemeinschaft trug den Titel »Christus aller Erde«.

Jetzt aber, im April 2023, leben wir mitten im Festeskreis des Sohnesgottes. Die Zeitverhältnisse drängen zu der Frage, warum so viel Leid unter uns Menschen geschieht. Der innere Blick kann sich dabei auf den Christus Jesus richten, um sich vorzustellen, wie er weiterhin die Schicksale der Menschen miterlebt und miterleidet, nun nicht mehr äußerlich, aber umso mehr geistig und innerlich anwesend. Und die Sehnsucht nach seiner verwandelnden, erneuernden Kraft kann den Weg zum Osterfest suchen helfen. An Himmelfahrt möchte seine Gegenwart in der ganzen Atmosphäre und im Bereich des Lebens der Erde erspürt werden.

Von ihm also gehen wir aus.

Dass Jesus Christus als Mensch mit uns Menschen lebte und litt und mit dem Leben der ganzen Erde fortan lebt und leidet – darin unseren geistigen Ausgangsort zu sehen, spricht aus der Signatur des ersten Jahres der Christengemeinschaft.