Gedanken zur Himmelfahrt Christi
Miriam Röger | Was wurde in der Tradition über die Himmelfahrt missverstanden?
Tom Tritschel | Jaaa, jetzt kommt wieder das, dass er mit Himmelfahrt gleich in den Kosmos abpfeift. Unter Himmelfahrt versteht man ja gemeinhin, dass der Auferstandene weit weg geht. Und ich bin nicht so ganz einverstanden damit, dass dies ein Missverständnis ist, denn ich meine tatsächlich, dass er zunächst weit weg geht. Also ich verstehe Himmelfahrt als einen Gegenpol zur Höllenfahrt, zu dem Ereignis am Karsamstag: der Gang in die Erde hinein durch einen Todesprozess und durch einen Todespunkt, durch Konzentration. Und vierzig Tage nach Ostern folgt dann der Gang tatsächlich in den Himmel hinein, in die Weiten des Alls – auch bis zu einem Todespunkt. Das heißt bis zu einem Tod durch Ausdehnung, durch Auflösung, nicht durch Konzentration. Also wirklich eine Umstülpung in der Weite, in der Unendlichkeit. Aber von dort her kommt er auch zurück. Und mir scheint, in verschiedenen Schichten. Also auch da gibt es, wie bei der Mitternachtsstunde jedes Menschen zwischen Tod und neuer Geburt, einen Umkehrpunkt. Von da aus inkarniert er sich neu, wovon als Wiederkunft die Rede ist. Er wird also wiederkommen, wie er gegangen ist, im Wolkensein, im Atmosphärischen der Erde, in der lebendigen Schicht. Er kommt aus einer rein geistigen Qualität und inkarniert sich in diesem Lebenskräftebereich, in dieser Sphäre um die Erde herum. Da gibt es ja auch so ein Grundmissverständnis von Kosmos – bei den Griechen war ja Kosmos gerade nicht das unendliche Weltall, sondern, was man in Kosmetik noch hört, die geschmückte Welt, also das was uns im Näheren umgibt. Und aus diesem Wolkensein heraus inkarniert er sich ja dann wiederum weiter durch einen Feuerprozess, wie durch den Blitz aus der Wolke an Pfingsten, Wiederkunft als Geist.
Miriam Röger | Und worin liegt der tiefere Sinn dieses Ereignisses im heutigen Verständnis?
Tom Tritschel | Ja, dass er eben in der Wolke, in diesem Bild des bildsamen Elementes zu finden ist. Er hat sich einmal, so könnte man sagen, physisch auf der Erde inkarniert, um die Transformation nicht nur des Menschenleibes, sondern auch des Erdenleibes bis in die Materie hinein zu vollziehen. Durch seinen Gang in die Erde hinein und in deren Umkreis entsteht für uns die Möglichkeit, die Schöpferkraft und Fähigkeit des Christus tatsächlich zu übernehmen. Sie entsteht dadurch, dass er in diesem bildsamen Element zu finden ist, dass er sich da hinein inkarniert hat, dass er dann wirksam ist im Ätherischen, was Wiederkunft im Wolkensein genannt wird. Da ist natürlich eine Anstrengung nötig, da heranzukommen, an dieses bildsame, kreative Element. Dieses Brausen, von dem zu Pfingsten die Rede ist, das entsteht heute nicht alleine von oben, sondern eigentlich müssen wir von unten dieses Brausen herstellen. Auch ein solches bildsames Element, das sich mit dem Wolkenelement – dem bildsamen Element, in dem er agiert – in ein Vernehmen setzen kann, um die Schöpfungsgebärden, die Metamorphosegebärden, die darin liegen, tatsächlich erfassen zu können und damit Neues zu schaffen. Diese Idee Christi: Ihr seid Götter (Joh 10,34), also: Ihr seid die Schöpfer, das verstehe ich so, dass er alles in die Hände der Menschen gegeben und damit eben überreicht hat an Himmelfahrt. Bis dahin war er nur für die Jünger da, er ist wiederauferstanden, sie haben sich gefreut und er war in ihrem Kreise. Aber dass die Auferstehung für alle Menschen gemeint ist, wahrnehmbar ist, handhabbar ist, dass das ein globales Ereignis ist, das war noch nicht deutlich. Alles war zunächst einmal auf Jerusalem beschränkt und auf die Wahrnehmbarkeit für die Jünger, und das war ein sehr beschränkter Kreis. Aber dadurch, dass das weitere Geschehen atmosphärisch sich um die ganze Erde hin bewegt, wird, so meine ich, Christentum tatsächlich zum ersten Mal global.
Miriam Röger | Kannst du etwas über die vierzig Tage Osterzeit und die zehn Tage Himmelfahrtszeit sagen?
Tom Tritschel | Es gibt ja immer wieder solche Zeitzyklen, die sich irgendwie entsprechen. Auch bei der Versuchung ist z. B. davon die Rede, dass er nach der Jordantaufe vierzig Tage in der Wüste gefastet hat, bis er Hunger verspürte. Ich glaube, diese vierzig Tage sind eine bestimmte Qualität, wo man an Grenzen kommt, das können auch vierzig Jahre sein, wie bei der Wüstenwanderung. Auch vor Ostern gibt es die vierzig Tage Fastenzeit und dann als eine Nachspiegelung das gleiche Maß an Zeit bis Himmelfahrt. Nach vierzig Tagen, so denke ich, ist eine Reife hergestellt, diesen beschriebenen Akt zu vollziehen. Das ging nicht sofort. So wie er auch den physischen Menschenleib nicht sofort herstellen konnte und zu Maria Magdalena das Noli me tangere sagt: Rühre mich nicht an, ich bin noch nicht fertig. Das sind Prozesse, die einfach eine bestimmte Zeit brauchen. Diesen Eindruck habe ich. Und dann geht es natürlich ziemlich schnell, ratzfatz, wenn man sich das vorstellt: Nach vierzig Tagen Himmelfahrt hin bis in die Unendlichkeit und dann in die Atmosphäre und nach zehn Tagen in neuer Schönheit wieder zurück aus der Wolke, das ist schon heftig, finde ich. Ja, die Zehn, keine Ahnung … Da kann man jetzt alle Zehnen aufsuchen und nach Qualitäten suchen, zum Beispiel beim Dekalog im Alten Testament. Aber ich würde auch da denken, dass es hier aus einer Transformation, aus einer Gesetzlichkeit von Zehn Geboten, oder wie auch immer man das nennen will, hinein in eine Eigenverantwortlichkeit geht. Vor allem wie sich die Zehn zu den Elfen, den verbliebenen Jüngern ohne Judas, verhält, die sich an Himmelfahrt versammelt hatten, das ist mir auch noch so eine Rätselfrage. Ich bin jetzt nicht so der Zahlenmensch …
Miriam Röger | Dann gehen wir zur nächsten Frage. Welche Wendung aus der Himmelfahrtsepistel ist dir die liebste?
Tom Tritschel | Vielleicht dieses: »Er lebet im Erdensein, verklärend das Erdensein mit Himmelssein.« Das finde ich ziemlich gut. Und es gibt doch auch einen Einschub: »Unsere Seelenaugen schauen Ihn im Wolkensein, Segen spendend dem Erdensein.« Aber vielleicht ist es wirklich dieser andere Satz: »Er lebet im Erdensein, verklärend das Erdensein mit Himmelssein.« Das ist ja wieder so ein Paradoxon: Die Erhöhung zum Himmelssein für das Erdensein. Und ich glaube, das spielt da wirklich rein. Das passt zu einer Sache, über die ich kürzlich gesprochen habe. Darüber, wie wir eigentlich mit den Elementen verbunden sind. Wenn wir sterben und zum Vater gehen, zu Grunde gehen, und sprechen dann von Beerdigung, dann ist das eigentlich eine Illusion. Denn das, was am wesentlichsten an uns ist, bis ins Stoffliche hinein, das löst sich ins Himmelssein, man könnte sagen ins Wolkensein. Wir müssten eigentlich von Behimmelung sprechen. Zunächst einmal löst sich die Wärme und die Luft in die Atmosphäre, wenn wir sterben. Und als nächstes, bei der Kremation geht das schnell, die 80% Wasser, die verdampfen, die gehen auch direkt in die Atmosphäre. Dann bleibt da ein winziger Rest, ein Ferment, das dann tatsächlich in die Erde geht. Aber auch die ist ja durchwässert. Dadurch wird auch das wieder in ein Bewegliches gebracht. Wir leben ja auch als Lebendige fast im Wolkensein, dadurch, dass das Wasser und die Luft, die Wärme und die Erde ständig unseren Leib durchzieht. Das Verhältnis von Wolkensein und Erdensein ist so eine Verschränkung, sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben und in der atmosphärischen Bewegung um die Erde herum.
Miriam Röger | Was sagst du als Künstler über die Bewegungen im Himmelfahrtsereignis?
Tom Tritschel | (lacht) Es gibt ja diese kuriose Darstellung, die jeder kennt, wo unten aus der Wolke noch die Füße rausgucken. Ich glaube, das ist ein antiquiertes Bild. Für Himmelfahrt wäre wirklich passend, sich viel intensiver mit Wolkenbildung zu beschäftigen. Ich habe einmal in Bergen Studienreihen des romantischen Malers Johan Christian Clausen Dahl (1788–1857) gesehen. An seinen Wolkenbildern sieht man, welche unfassbare Vielfalt an Formen und Farben es gibt. Leonardo da Vinci hat Strudel gezeichnet, endlos. Das ist ja unfassbar, was da passiert. Dieses bewegliche Element der Wasserwolken zu ergründen, zunächst mal zu erforschen im Künstlerischen, das würde ich für wichtig halten. Die alten Bilder sind natürlich auch symbolische Darstellungen, die auf etwas verweisen, aber manchmal muss man da schon schmunzeln.
Miriam Röger | Wenn wir schon über die Kunst und Bilder sprechen: Welche Bilder der alten Meister laden dich am ehesten zum Betrachten ein? Mit oder ohne Schmunzeln?
Tom Tritschel | Im Hinblick auf Himmelfahrt am ehesten Bilder von Raffael. Zwar sind das auch immer noch gegenständliche Darstellungen, aber die haben eben diese Dynamik, die man auch in den Gewändern sieht. Wo also in den Gewändern schon das Wolkensein erscheint. Das ist schon etwas, was in den Hüllen spielt, wo der Lebensleib diese Bewegungen aufnimmt. Raffael ist einfach genial. Wahrscheinlich kommt da keiner ran. Wobei Raffaels Himmelfahrtsbild ja ein Bild der Vorstufe der Himmelfahrt ist – es zeigt die sogenannte Verklärung.1 Aber es gibt einen zeitgenössischen Künstler, der in Räumen reale Wolken bilden kann – Berndnaut Smilde aus den Niederlanden – große Klasse. Das wären mal Altarbilder der Zukunft, der Wiederkunft …
Miriam Röger | Was sagt Himmelfahrt über die Auffassung von der Erde als einem lebendigen Wesen aus?
Tom Tritschel | Wir reden ja viel von Globalisierung. Aber mir scheint das noch nicht wirklich bewusst zu sein, dass die Erde wirklich ein Lebewesen ist, mit verschiedener Leiblichkeit, mit verschiedenen Hüllen. Und gerade diese Schicht des Lebendigen, was wir Atmosphäre nennen, ist so hauchzart um diese Erde herum und gleichzeitig das Lebendigste auf der Erde, was es überhaupt gibt. Das beeindruckt mich maßlos. Wir sind dem ja auch ziemlich ausgeliefert, ich sage nur: Wetter. Da langen wir einfach nicht hin. Wir fliegen zum Mars oder was weiß ich was, aber drei Tage Wetter zuverlässig vorauszusagen, wann es kracht und wann nicht, das bekommen wir nicht hin. Ja, also die Erde wirklich als ein Lebewesen zu nehmen, wo wir auch jeder ein Teil dieser Leiblichkeit sind, bis in die Stofflichkeit hinein, das wäre wichtig. Und auf der anderen Seite sind wir natürlich auch eingebunden in die Bewegungen, die dieses Gesamtwesen im Kosmos macht. Also in Bezug auf die Konstellationen, jetzt haben wir ja gerade schön Jupiter und Venus zusammen, also in Bezug auf die Stellung der Wandelsterne. Und wir sind ja mit diesem Lebewesen auch in einem Kreis von geistigen Lebewesen verbunden. Und an manchen Stellen ist es dann auch deutlich, wie wir zusammen in deren System wiederum ein Lebewesen sind. Am einfachsten ist es ja beim Mond, mit Ebbe und Flut: Das hat Wirksamkeiten bis in das Atmosphärische hinein. Dann gibt es natürlich feinere Schichten, in denen wir mit diesem Gesamtwesen verknüpft sind. Man sagt, es gibt eine Nord- und eine Südhalbkugel. Aber nee, es gibt eben nur eine Erde! Die hat ein Oben und ein Unten, und das ist verschieden, selbstverständlich. Ich habe schließlich auch einen Kopf und Füße und alles, was dazwischen ist. Das gehört ja wirklich in die Wirkungsweise des Christentums, dass es egal ist, ob wir in Norwegen stehen oder in Feuerland: Wir blicken mit dem Altar nach Osten, da steht eine Bewegungsrichtung dahinter. Das ist nicht nur die Lichtqualität, die uns da entgegenkommt, sondern wir gehen auch in eine bestimmte Bewegung, die ja vor allem mit der Atmosphäre etwas Bestimmtes macht. Gerade auch mit dem, was als Äquator um die Erde herumgeht, sind ja Bilder gegeben, mit denen wir begreifen könnten, dass das ein Lebewesen ist. Aber das hat sich halt, wie so vieles andere auch, physikalisiert, materialisiert in den Vorstellungen der Zeitgenossen.
Miriam Röger | Kannst du zum Schluss noch einen kurzen Lobpreis zum abwesenden Gott geben?
Tom Tritschel | Das ist natürlich schön, dass Nietzsche den Menschen sagen lässt: »Gott ist tot«. Und in einer bestimmten Weise ist er das ja auch. Insofern er mit bestimmten Methoden, mit denen er früher erreichbar war, nicht mehr erreichbar ist. Tot heißt ja, dass er für die Menschen in eine andere Schicht gegangen ist: Für irdisches Bewusstsein zunächst abwesend. Natürlich kann ich neue Methoden finden, um zu kommunizieren, mit einem – jetzt nenn ich es mal so: verstorbenen Gott, mit dem abwesenden Gott. Und das ist in einer gewissen Weise ja die Voraussetzung unserer Freiheit, dass er sich zurückgenommen hat. Er ist immer noch da und steht zur Verfügung, wenn wir ihn brauchen, wenn wir uns die Mühe geben, dass wir mit ihm in Kontakt kommen. Aber er wird nicht mehr von alleine eingreifen, und das ist gut so. Er überlässt uns die Schöpfung. Das ist ein Zuspruch von ungeheurer Verantwortung. Das ist etwas, wovor man richtig ehrfürchtig werden kann, wenn man sich das wirklich bewusstmacht, dass der Fortgang der Evolution in unseren Händen liegt. Was nicht heißt, dass er da nicht mitspielt – aber wir bestimmen, wo es langgeht.
Miriam Röger | Vielen Dank!
1 Raffael: Transfiguration, 1516/20, Öltempera auf Kirschbaumholz, 405×278 cm, Vatikanische Museen
Miriam Röger, geboren 1985, Priesterin, Bochum
Tom Tritschel, geboren 1958, Priester, Bochum