Johannes Mayer | 20.8.1933 – 22.3.2023
Am 22. März 2023 ist Johannes Mayer, der langjährige Leiter des Verlags Urachhaus, in seinem 90. Lebensjahr über die Schwelle des Todes gegangen.
Er war 32 Jahre alt, als er von Kurt von Wistinghausen, einem der Gründungspriester von 1922 und von Anfang an auch Leiter des Verlags der Christengemeinschaft, berufen wurde, ihm in dieser Aufgabe nachzufolgen. Von 1965 bis 1993 hat er dann den Verlag Urachhaus gestaltet, der in dieser Zeit eine große Ausstrahlung in Autorenkreisen und der Fachwelt und Leserbeachtung gewann.
Die wesentliche Frage, die Johannes Mayer dabei immer bewegte, war die nach der besonderen Aufgabe eines Verlags der Christengemeinschaft. Soll der Verlag gewissermaßen die letzte Stufe der Verkündigung sein, die sich zunächst im Rahmen der Gemeinde ereignet, um dann in schriftlicher Form immerhin über Gemeindegrenzen hinauszugreifen? Von der dreifachen Aufgabe des Priestertums, wie es im Leben der Christengemeinschaft sich gestaltet in Kultus, Seelsorge und Lehre, wäre es dann vor allem die Lehre, die der Veröffentlichungsarbeit des Verlags die Themen brächte. Als Autoren waren vor allem die Priester gefordert.
Das war tatsächlich die erste Form, in welcher der Verlag zunächst entstand. Beispielsweise waren die ersten drei Erzoberlenker – Friedrich Rittelmeyer, Emil Bock, Rudolf Frieling – auch geschätzte Autoren, gemeinsam mit weiteren Priestern wie z.B. Wilhelm Kelber, Rudolf Meyer, Alfred Schütze. Im Nationalsozialismus wurde 1941 der Verlag geschlossen, die Bücher konfisziert, und Kurt von Wistinghausen kam ins Gefängnis. Nach dem Krieg entstand der Verlag neu, aber im Blick auf die völlig veränderte Situation des Lebens nicht wirklich »neu«. Die alten Bücher wurden zwar wieder neu aufgelegt, aber neue Buchtitel gab es nur wenige; der Jahresumsatz des Verlags war gering, und zum Buchhandel gab es kaum Beziehungen. Nur wenige Buchhandlungen in Deutschland (u. a. in Stuttgart, Hamburg, Berlin und Essen), hatten regelmäßig Bücher des Verlags im Angebot. So war die Situation, in der 1965 Johannes Mayer die Verantwortung für den Verlag Urachhaus übernahm – mit 32 Jahren.
Dass er einmal Verleger werden würde, ist in seiner vorangehenden Biographie kaum erkennbar. 1933 in Erfurt geboren, war seine Kindheit geprägt von den politischen Umwälzungen in Deutschland. In der frühen Kindheit erlebte er noch »eine behagliche heitere Grundstimmung«. Doch dann kommt mit Kriegsausbruch »die dunkle Phase, die mein zweites Jahrsiebt geprägt hat«. Für den Zehnjährigen beginnt die Hitler-Jugend und das dort geübte Gehen im Gleichschritt: »Marschieren im Gleichschritt – das habe ich seitdem als gezieltes Mittel aller Diktaturen zur Unterwerfung des individuellen Einzelnen begriffen.« Schließlich kam das Kriegsende und damit verbunden die Besatzungsmacht der Amerikaner und nachfolgend der Russen. Was der Zwölfjährige da erlebt, beschreibt er später: »Für mich ist dieser erlebte Wahnsinn für immer Teil meines historischen Bewusstseins geblieben.«
Nach Kriegsende hat er Gelegenheit, in der »russischen Besatzungszone« eine private »Fachschule für angewandte Kunst« zu besuchen, in der er dann auch die Gesellenprüfung als »Gold- und Silberschmied« ablegt und – von großer biographischer Bedeutung für ihn – der Musik begegnet, die von da an auch noch sein weiteres Leben prägt. Zugleich beginnt sich für ihn ein erstes Lebensmotiv zu konkretisieren: »Arbeit im Sinne eines verbindlichen Kulturbegriffes von Kunst-Wissenschaft-Religion.« Dann aber wurde diese private Fachschule staatlicherseits – jetzt der DDR – geschlossen, so dass er die schon nahe Meisterprüfung nicht mehr ablegen konnte. Daraufhin orientierte er sich neu, zunächst im Wechsel zur Schauspielschule in Leipzig und schließlich durch die Flucht in den Westen. In München beabsichtigte er die Fortsetzung seiner Schauspielausbildung. Als sich das für ihn finanziell als unmöglich erwies, suchte er – jetzt 23-jährig – Arbeit und Einkommen. Im bedeutenden Verlag R. Oldenbourg fand er eine Stelle als Verlagskaufmann. Diese völlig neue Tätigkeit war für ihn Arbeit und Ausbildung zugleich und brachte ihm bei den Mitarbeitern wachsende Anerkennung.
Eine neue und wichtige Erfahrung wurde für ihn der anthroposophische Studentenkreis in München, aus dem viele tragende Freundschaften und Lebensbeziehungen entstanden, auch die Ehe mit seiner Frau Renate Wolff, zu der sich dann noch drei Kinder gesellten. Ähnlich war auch die Beziehung zur Christengemeinschaft und die für ihn damit verbundene Ministrantentätigkeit. In dieser Situation erreichte den inzwischen 32-Jährigen der Ruf der Christengemeinschaft, Verlagsverantwortung in Stuttgart zu übernehmen. Er hatte jetzt neun Jahre Erfahrung im Verlag R. Oldenbourg gewonnen. Die Brücke, die ihn dann von München nach Stuttgart führte, ruhte auf zwei Säulen, zwei Sätzen, die von ihm später in einer biographischen Niederschrift in Worte gebracht wurden als Motive seiner Arbeit:
»Zeitgenosse mit allen Ausprägungen des Jahrhunderts und Weltbürger im Geistigen zu sein, war mein Anspruch, den ich auch verlegerisch umsetzen wollte.«
»Kommerzielle Erfolge um ihrer selbst willen haben mich nie wirklich interessiert. In mir lebten Gedanken und Ideen, die ich etablieren wollte, und das hat mir nebenbei bemerkt immer wieder auch eine Menge Ärger eingetragen. Aber alles andere konnte als Lebensaufgabe für mich nicht in Frage kommen.«
Die nun folgenden 28 Jahre können als die Kernzeit seiner Biographie gesehen werden, das mittlere Drittel seines Lebens. In dieser Zeit machte der Verlag eine eindrucksvolle Entwicklung durch, sowohl äußerlich in Produktion und Umsatz als auch geistig im Themenreichtum seiner Veröffentlichungen. Aber immer wieder erreichten den Verlag auch Fragen wie: Ist das, was da als neues Buch erscheinen soll, im Sinne der Christengemeinschaft wirklich »unser Thema«? Die Frage war immer wieder anwesend: Was ist eigentlich »unser Thema«? »Zeitgenosse mit allen Ausprägungen des Jahrhunderts und Weltbürger im Geistigen zu sein, war mein Anspruch.« Für die rechte thematische Orientierung des Verlagsprogramms sollte dementsprechend der Verleger ein wahrer »Zeitgenosse« und zugleich ein »Weltbürger im Geistigen« sein. Andere Kriterien kann es geben, sie sind dann aber sekundär.
Doch dann zeigte sich in diesen 28 Jahren auch die andere Wirklichkeit: »Kommerzielle Erfolge« hatten gegenüber seinem Streben, »Gedanken und Ideen« zu etablieren, keine oberste Priorität für ihn. »Das hat mir nebenbei bemerkt immer wieder auch eine Menge Ärger eingetragen.« Dieses Motiv steht hinter der tragischen Tatsache, dass inzwischen Umstände eingetreten waren, aufgrund derer die bisherige Verbindung zwischen Verlag Urachhaus und Christengemeinschaft grundlegend geändert werden musste und das fruchtbare Wirken in der Verantwortung für den Verlag als »Zeitgenosse« und als »Weltbürger im Geistigen« für Johannes Mayer mit 60 endete.
So begann das letzte Drittel, die letzten 30 Jahre seiner biographischen Entwicklung. Noch einmal wurde er für 15 Jahre – bis zu seinem 80. Lebensjahr – als verantwortlicher Verleger tätig für den Johannes M. Mayer Verlag, der mit Hilfe von außen gegründet worden war und nach 15 Jahren an den Info3-Verlag übertragen wurde. Danach begann für Johannes Mayer ein ganz neues biographisches Thema: Krankheit. Gesundheit war für ihn lebenslang eigentlich immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Kranksein gehörte nicht wirklich zu seinem Leben. Das änderte sich nun und erschloss ihm einen ganz neuen Bereich von Lebenserfahrung: die Minderung der eigenen Möglichkeiten, die Abhängigkeiten von anderen Menschen. Er nutzte die sich für ihn verändernde Lebenswirklichkeit, um noch intensiver das zu tun, was sein Leben wie ein roter Faden durchzieht: Lesen. Der Menschheits- und Kulturgeschichte galt sein nicht nachlassendes Interesse, ganz im Sinne des Goethe-Wortes:
»Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben,
bleib im Dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tage leben.«
Auch in dieser letzten biographischen Lernphase strebte Johannes Mayer danach, »Zeitgenosse mit allen Ausprägungen des Jahrhunderts« und »Weltbürger im Geistigen« zu sein.
Michael Debus, geboren 1943, Priester, Stuttgart