Burnout – eine Lebenseinweihung? Gespräch mit der Psychotherapeutin Renate Hölzer-Hasselberg

AutorIn: Ruth Ewertowski

Unbedingte Tätigkeit, von welcher Art sie sei, macht zuletzt bankrott.
Goethe

 

Ruth Ewertowski | Der Begriff »Burnout« war vor 20 Jahren noch wenig bekannt, heute ist er in aller Munde, und man hört auch immer wieder von Menschen, die ein Burnout haben. Ist das Burnout eine Zeiterscheinung oder ist nur der Name neu, und früher sprach man einfach von »Erschöpfung«.
Renate Hölzer-Hasselberg | Sicher gab es auch früher schon Krankheitsformen, die dem Burnout ähnlich waren. Aber man hatte für das Phä­no­men keinen Begriff und hatte es auch nicht als Krankheit diagnostiziert und ihm den entsprechenden Stellenwert beigemessen. Heute aber ist es ein Krankheitsbild, und zwar eines, von dem sehr viele Menschen betroffen sind.

Ruth Ewertowski | Kannst du kurz beschreiben, was ein Burnout eigentlich ist?
Renate Hölzer-Hasselberg | Burnout heißt ausgebrannt sein. Es gibt so viele Burnout-Formen, wie es Menschen gibt. Dabei handelt es sich aber immer um eine totale Erschöpfung auf ­allen Ebenen: auf der physischen, der seelischen und der geistigen. Sie betrifft sowohl den be­ruflichen als auch den privaten Bereich. Die Symptome sind individuell verschieden, aber man kann doch bestimmte Merkmale zusammentragen: Es kann z.B. ganz harmlos damit beginnen, dass man weniger schläft, dass man nicht mehr so viel Antrieb hat. Man kann bemerken, dass man gereizter ist als früher. Es können sich latente Ängste vor neuen Aufgaben einstellen. Wenn ein Mensch sehr tatkräftig und motiviert auf neue Aufgaben zugegangen ist, kann der Beginn eines Burnouts sich darin zeigen, dass Ängste entstehen. Ein Patient sagte mir einmal, dass alles, was irgendwie neu ist, wie ein Berg vor ihm stehe, ein Berg, über den er nicht gehen kann. Neben Ängstlichkeit kommt es zu Niedergeschla­genheit, im weiteren Verlauf zu Rückzug aus ­sozialen Kontakten, weil man einfach nicht mehr die seelische Kraft hat, sich auf andere Menschen und deren Belange einzustellen. Ganz tief innen entsteht eine Form der Hoffnungs­losigkeit und das Gefühl, meine Ressourcen reichen nicht aus, um mit den anstehenden Aufgaben, seien es private oder berufliche, fertig zu werden. Also das ist so die Palette, und das steigert sich jetzt. Und dann ist es auch immer die Frage, die noch nicht so ganz geklärt ist, ob hinter jedem Burnout eigentlich auch eine Depression steht oder ob das Burnout die Depression auslöst. Oder ob die Depression schon latent da war, so dass sie sich dann im Burnout manifestiert, also in den Überforderungen. Das ist manchmal eine etwas komplexe Gemengelage.

Ruth Ewertowski | Warum muss es eigentlich immer wieder so weit kommen? Meistens gibt es doch schon vorher gewisse Anzeichen, eben z.B. die Schlaflosigkeit, aber handeln tut der Betreffende meist erst, wenn das Kind richtig tief in den Brunnen gefallen ist.
Renate Hölzer-Hasselberg | Meist sind es Men­schen mit vielen Idealen und einem sehr ausgeprägten Wertekatalog, die in ein Burnout geraten. Da ist es oft so, dass man sich nicht eingestehen möchte, dass die Leistungskurve nach unten zu zeigen beginnt. Das ist ein Eingeständnis: so geht es nicht weiter. Aber wie soll es dann weitergehen? Da ist eine Hürde, die die meisten nicht nehmen, und oft – und das ist verhängnisvoll –, anstatt jetzt innezuhalten und Pausen zu machen und Abstand zu nehmen, verdoppeln sie ihren Einsatz kräftemäßig in der Hoffnung, dass sie wieder zu ihrer eigentlichen Performance zurückkommen. Also sie machen das Gegenteil von dem, was nötig wäre. Wir ken­nen das alle im Kleinen: Man ist erschöpft und dann beginnt man Fenster zu putzen. Wir sind erschöpft und um diese Erschöpfung nicht so fühlen zu müssen oder ihr nicht Rechnung zu tragen – das hängt mit dem Selbstbild zusammen –, wird noch mal die letzte Kraft oder die Kraft, die schon gar nicht mehr da ist, mobilisiert, um diesem Zustand der Erschöpfung auszuweichen. Das ist sehr verständlich.

Ruth Ewertowski | Also ist es auch das Gefühl des Scheiterns, was man nicht haben will, und man kann sich nicht eingestehen, dass man viel­leicht zu ehrgeizig war und sich selbst überschätzt hat.
Renate Hölzer-Hasselberg | Ja, es sind häufig Menschen, die sehr leistungsorientiert sind, und dann kommt etwas sehr Verhängnisvolles dazu: Diese Menschen sind sehr abhängig von dem, wie sie in der Welt gesehen und wie sie bewertet werden. Überhaupt definieren sie sich über Leistung und generieren da auch ihren Selbstwert. Sie sind besonders gefährdet und wollen oft die Anzeichen nicht bemerken, dass sie schon weit über ihre Grenzen gegangen sind. Es ist nicht nur ein Eingeständnis von Schwä­che, sondern auch eine grundlegende und sehr existenzielle Angst, vor dem Nichts zu stehen und sich durch einen Abgrund hindurchtasten zu müssen, an dessen Ende dann vielleicht das Licht ist. Aber davor ist eben viel zu tun, und das heißt einfach vieles von dem loslassen, was einen bisher getragen und gestützt hat, und das ist wirklich nicht leicht.

Ruth Ewertowski | Es gibt aber auch so viele »Vorbilder« – Sportler, Popstars, Journalisten, Manager –, bei denen man das Gefühl hat, denen kann nichts was anhaben, die schaffen das einfach. Die schaffen das, was man auch gerne selber schaffen würde. Sind Vorbilder dann eine Gefahr?
Renate Hölzer-Hasselberg | Ja, oft deutet es schon auf ein brüchiges Verhältnis zu sich selbst hin, wenn man so identifiziert ist mit Leistung und dann in den Vergleich geht mit dem, was andere leisten. Das heißt, in jedem Vergleich steckt immer ein Stück Inhumanität. Wer sich mit anderen vergleicht – ich sag das mal ein bisschen überbetont, denn das ist menschlich verständlich –, der ist ein bisschen auf verlorenem Posten. Da besteht die Gefahr eines Abwegs. Da hat man es mit einer Ambivalenz zu tun: Es kann ein motivierendes Vorbild geben, und zugleich kann man sich doch nicht vergleichen oder identifizieren, weil jeder eben mit seinen Kräften und seiner Lebensweise umgehen muss. Im Grunde ist es so, wie Goethe sagt: Gegen die Vorzüge eines Menschen kann man nur in der Weise überleben, dass man sie liebt. Also wenn man Menschen begegnet, die mehr schaffen oder können – wenn man beginnt das zu lieben, dass das bei dem anderen so ist, dann ist das eine Chance.

Ruth Ewertowski | Ich habe irgendwo gelesen, dass wer in der Liebe lebt, von einem Burnout kaum gefährdet ist. Oder umgekehrt, dass ein Aktivismus ohne Liebe oft in ein Burnout führt.
Renate Hölzer-Hasselberg | Ja, das hängt mit dem Motiv zusammen. Mache ich eine Arbeit aus Liebe oder mache ich eine Arbeit aus einer Art gesteigerter Egoität, um damit das, was wir alle brauchen, nämlich meinen Selbstwert zu ­stabilisieren oder zu steigern. Ich habe öfter ­Patienten erlebt, die nach außen hin eine glänzende Karriere gemacht haben, wirklich viel geleistet haben, aber sie haben zu viel ins »Image« investiert und dabei keinen tragfähigen Persönlichkeitskern entwickelt, der sie relativ – ich glaube man muss sagen »relativ«, um auch die Kirche im Dorf zu lassen –, um sie relativ unabhängig zu machen von dem, was die Welt an äußeren Stützen und an Anerkennung bietet. Wer davon abhängig ist, der ist dann, wenn die Leistungskurve abnimmt oder wenn einfach im Alter Veränderungen dran sind und bestimmte Sachen so nicht mehr gehen, wirklich gefährdet.

Ruth Ewertowski | Welche Bedeutung hat das Alter beim Entstehen eines Burnout?
Renate Hölzer-Hasselberg | Also die Übergänge in der Biographie eines Menschen von der aufbauenden Seite zur abbauenden, so um die 35, aber natürlich auch noch viel später, das ist für uns alle eine riesige Aufgabe. Es gibt eine schöne Ausführung von C.G. Jung, in der er sagt: Wir kommen mit den Kräften bis zur Lebensmitte, aber nicht in den Nachmittag unserer Biographie. Was am Morgen eine Weisheit oder richtig ist, ist am Nachmittag eine Lüge. An den nachlassenden Kräften merken wir, dass jetzt andere Prioritäten gesetzt werden müssen. Der Abbau der physischen und ätherischen Kräfte kann auf der anderen Seite im Seelisch-Geistigen auch etwas ungeheuer Glanzvolles haben, das die Identifizierungen mit dem, was man bisher gemacht hat, ein Stück lockert und eine ganz tiefe Verinnerlichung an seine Stelle treten lässt. Es kommt dann auch die Frage auf, was nehmen wir über die Schwelle in die geistige Welt mit, wenn wir diese Erde verlassen? Diese Frage stellt sich auf der Nachmittagsseite unserer Biographie. Und natürlich auch die nach dem, was wir zurücklassen. Allerdings: Wenn man älter wird und nicht in die Erschöpfung hineingeraten will, muss man im Vorfeld einfach lernen zu verzichten. Dinge, die einem vielleicht sehr lieb sind und über die man auch viel Bestätigung bekommen hat, auf die muss man verzichten lernen. Das ist überhaupt nicht leicht.

Ruth Ewertowski | Aber gibt es nicht auch etwas, was einen dazu motivieren kann?
Renate Hölzer-Hasselberg | Doch, das ist für die einen das Musizieren, für die anderen die Pflanze am Wegrand, für den Dritten die ­eigene Meditationspraxis. Das ist für jemand anderen, end­lich richtig viel Zeit zu haben, um sich um seine Enkelkinder zu kümmern und da wirklich Großeltern sein zu dürfen. Der Verzicht fällt leich­ter, wenn man aufrichtig und gut mit sich selber umgeht und sich fragt, was man von sich selber erwarten kann und was altersgemäß ist und was eben, ich sag das nochmal, was eben auch über die Schwelle mitgenommen wird, also Liebe z.B. oder Gelassenheit oder was alte Menschen ja manchmal haben, die haben einfach auf eine ganz besonders schöne Weise Zeit, einfach Zeit.

Ruth Ewertowski | In dem Verzicht kann ja auch eine Art Befreiung liegen.
Renate Hölzer-Hasselberg | Das wäre natürlich schön, jemandem, der wirklich in einem Burnout tief drin ist, das an Perspektive geben zu können, die Befreiung.

Ruth Ewertowski | Kann man sagen, dass die Lebenswandlung, die infolge oder mit einem Burnout angesagt ist, eine Art Lebenseinweihung ist? Dass also der Betroffene mitten im Leben den Tod erlebt und dann eine Art Neu­geburt, wenn es gut geht.
Renate Hölzer-Hasselberg | Ja. Man hat ja für etwas gebrannt, und dadurch entsteht Asche, und aus dieser Asche entsteht der Phönix. Das ist eine Form von Lebenseinweihung, und zwar in der Art, dass erst einmal deutlich wird, wie es bisher gewesen ist, so kann es nicht ­weitergehen. Die Einweihung besteht dann darin, dass ich mich mit nichts mehr identifizieren kann. Das, von dem ich gemeint habe, dass es unverzichtbar ist für meine innere und für meine äußere Existenz, bricht weg. Aber wenn ich ­dieses Erlebnis habe, kann ich auch spüren, dass ich viel mehr bin als alle meine Identifizie­rungen. Es ist das konkrete Erlebnis des Verbrennens meines irdischen Ichs mit seinen Identifizierungen, mit seinem seelischen So-Sein. Und es überlebt etwas, was tatsächlich überseelisch ist: das höhere Ich, und zwar nicht als Vorstellung, sondern als Erlebnis. Mein höheres Ich ist von all dem ganz unberührt, und ich bin mehr als alle meine Identifikationen. Ich bin mehr als mein Burnout. Ich bin, wenn man das so ausdrücken will, im Sinne meines Schutzengels und des Chris­tus in meinem höheren Ich unantastbar. Das empfinde ich wie eine Lebenseinweihung.

Ruth Ewertowski | Das kann dann auch ein großes Glückserlebnis sein.
Renate Hölzer-Hasselberg | Ja, wenn Menschen das durchgestanden haben. Und man macht das ja auch nicht für sich alleine durch. Von der anderen Seite her gesehen kann man feststellen, dass man von Menschen angezogen wird, von denen man den Eindruck hat, die haben wirklich etwas durchgemacht, und die Frucht dessen, was sie durchgemacht haben, die wird der Welt zur Verfügung gestellt. Man leidet gar nicht für sich alleine. Man erleidet ein Burnout. Man ist in der tiefsten Finsternis, geht durch den Tunnel durch, kommt am Ende – wann auch immer das ist – wieder ans Licht. Und was man da erfahren hat, das kann man der Welt zur Verfügung stellen. Aber natürlich weiß man das vorher nicht.

Ruth Ewertowski | Man geht ja diesen Weg auch nicht im Hinblick auf ein pragmatisches Ziel, sondern er ist quasi wie ein Wieder-unschuldig-Werden, weil man allen Pragmatismus dabei über­windet.
Renate Hölzer-Hasselberg | Ja, so ist es. Erst hinterher, wenn das Burnout durchgestanden ist – mit Hilfe anderer Menschen, in einer Klinik oder nach langer psychotherapeutischer Betreuung – wird man wissen, welche Wandlungen dadurch geschehen sind. Und viele sagen, so bitter und so schlimm wie ein Burnout ist, auf das, was sie gewonnen haben, darauf würden sie nicht gerne verzichten.

Ruth Ewertowski | Und sind diese Menschen dann vor einem Rückfall sicher?
Renate Hölzer-Hasselberg | Nein. Es gibt auch Menschen, die – das habe ich auch erlebt – jahrelang diese ganze Thematik nicht mehr hatten, und plötzlich treten Situationen auf, in denen es wieder gefährlich wird. Das ist ein bisschen wie bei einem trockenen Alkoholiker. Aber der furchtbare Schrecken, den ein Burnout hatte, in dem man sich so völlig ohnmächtig fühlte, macht sehr vorsichtig.

Ruth Ewertowski | Der Vergleich mit einer Sucht ist interessant. Warum wird man überhaupt süchtig – nach Alkohol, Drogen oder eben nach Arbeit und Anerkennung?
Renate Hölzer-Hasselberg | Es gibt viele Suchtkrankheiten, die überhaupt nicht stoffabhängig sind, Fernseh- oder Mediensucht oder eben Arbeitssucht. Ganz wie bei der stofflichen Sucht nach Alkohol, Tabletten oder Drogen wird auch hier etwas erlebt, eine ganz andere Qualität, die ich nicht erlebe, wenn kein Suchtpotenzial bemüht wird. Der Zustand, wie er aktuell ist, wird nicht ertragen, aber über das Suchtmittel wird der Gemütszustand verändert. Ich erlebe dadurch etwas, was ich anders nicht erleben kann. Und das ist natürlich im Burnout extrem gefährlich, weil der leidige Zustand dann zunächst mal betäubt wird mit Aktivitäten, die ihn herbeigeführt haben. Wie schon gesagt: wenn die ersten Anzeichen da sind, die in ein Burnout münden können, dann suchen manche Menschen diese mit noch mehr Aktivität, noch mehr Fleiß zu »behandeln« – in der Hoffnung, dass die Anzeichen, die in das Burnout führen, damit überwunden werden und die ursprüng­liche Kraft zurückkommt. Aber das Gegenteil ist der Fall, es wird immer schlimmer.

Ruth Ewertowski | Gibt es Veranlagungen zu solchen Handlungsweisen?
Renate Hölzer-Hasselberg | Es gibt Bedingungen, die bestimmte Menschen mehr gefährden als andere. Wenn Kinder und Jugendliche zu wenig Wertschätzung erfahren haben, wenn das Elternhaus zu leistungsorientiert war und viel zu wenig auf Gefühle Rücksicht genommen hat oder Wertschätzung über Leistung vergeben wurde, dann sind diese Menschen gefährdeter. Das setzt sich ins Unterbewusste oder Unbewusste ab: Ich werde nur geliebt, wenn ich etwas leiste. Ich werde nur gemocht, wenn ich schön bin. Man mag mich nur, wenn ich mich anpasse. Und dann kommt das Gefühl, ich muss ganz viel für den anderen tun, damit ich nicht ver­lassen werde. Ich kann gar nicht genug für den an­deren tun. Oder das Gefühl, ich werde nicht gesehen, ich werde nicht wahrgenommen, ich werde nicht wertgeschätzt. Und im schlimmsten Fall – das habe ich immer wieder bei Patienten ­erlebt – kommt in einer Partnerschaft das Gefühl auf, ich lebe das Leben des Partners, aber nicht mein eigenes. Da kann sich eine Selbstwert­problematik eingeschlichen haben, die ihre Entstehungsgeschichte in Kindheit und Jugend hat. Und diese Dinge sind leider sehr hartnäckig. Denn das zu verstehen ist das eine, aber dass ich das verwandle, ist nun eben das andere. Und das ist die eigentliche Arbeit. Aber wir können auch noch weiter zurückgehen, denn die Frage, ob man burnout-gefährdet ist oder nicht, ist auch eine Frage des Vorgeburtlichen. Also was bringt ein Mensch eigentlich auf die Welt mit? Und wie entsteht dann Resi­lienz, also eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber einem möglichen Burnout. Ich glaube, die Widerstandsfähigkeit hängt mit dem zusammen, was man sich vorgeburtlich mitgebracht und vorgenommen hat. Fühlt man sich damit in Übereinstimmung? Ist man auf der richtigen Fährte, so dass man sagen kann, dieses Leben hat wirklich mit mir zu tun?
Hat man ein Kohärenzgefühl? Macht mein ­Leben so Sinn? Kann ich es verstehen und handhaben? – All diese Kriterien gehören in das Salutogenesekonzept von Antonovsky.1 Sie sind wichtige Punkte im Hinblick auf eine Prophy­laxe für das Burnout.

Ruth Ewertowski | Das leuchtet sehr ein. Abschließend noch die Frage: Kann man sagen, dass ein religiöses Leben, ein religiöser Bezug für die Therapie eine Bedeutung hat?
Renate Hölzer-Hasselberg | Unbedingt. Irgendwann im Laufe eines therapeutischen Prozesses entwickeln Menschen oft langsam, aber doch sehr beständig und oft sehr intensiv ein Vertrauen, nämlich dieses: Ich bin nicht allein. Wir haben immer unseren Engel um uns, und der Christus ist immer da. Das muss man natürlich fühlen lernen. Das nützt nichts, wenn man sich das nur so sagt. Darin kann man auch eine Entwicklungschance sehen. Man kann auch sagen, dass mein höheres Ich im Zusammenhang mit meiner Schicksalsgebärde mir dieses Burnout »geschenkt« hat, um mir deutlich zu machen, worum es jetzt geht und was jetzt ­eigentlich zu entwickeln ist. Das hat mit Schicksalsvertrauen oder Gottvertrauen zu tun. Ich glaube, in diesen Momenten – ich hab's immer wieder erlebt bei Patienten, kenne es auch ein bisschen selber –, wenn man so ganz tief im Abgrund ist, dann merkt man plötzlich, man ist wirklich nicht alleine. Das kann einem ganz viel Vertrauen geben, dass man mit dem, was schicksalsmäßig auf einen zukommt, umgehen kann und dass im gegebenen Fall auch die Kraft kommt. Viele Leser dieser Zeitschrift kennen vermutlich das Ergebenheitsgebet von Rudolf Steiner. Das kann sehr hilfreich sein:

… Durch Angst und Furcht wird unsere Entwicklung gehemmt; wir weisen durch die Wellen der Furcht und Angst zurück, was in unsere Seele aus der Zukunft herein will. Die Hingabe an das, was man göttliche Weisheit in den Ereignissen nennt, die Gewissheit, dass das, was da kommen wird, sein muss, und dass es auch nach irgendeiner Richtung seine guten Wirkungen haben müsste, das Hervorrufen dieser Stimmung in Worten, in Empfindungen, in Ideen, das ist die Stimmung des Ergebenheitsgebetes. Es gehört zu dem, was wir in dieser Zeit lernen müssen: Aus reinem Vertrauen zu leben, ohne Daseinssicherung, aus dem Vertrauen auf die immer gegenwärtige Hilfe der geistigen Welt ...2

1  Aaron Antonovsky: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen 1997.

2  Das Gebet stammt in dieser Form nicht unmittelbar von Rudolf Steiner. Die ersten beiden Absätze des Textes sind – in teils ver­änderter Form – zusammengestellt aus Textstellen des Vortrags von Rudolf Steiner: Das Wesen des Gebetes, Berlin 17.2.1910, GA 059. Der letzte Satz gibt in abgewandelter Form einen von Zeylmans van Emmichoven überlieferten Wortlaut Rudolf Steiners wieder.

 

Renate Hölzer-Hasselberg, geboren 1946, Psychotherapeutin HP, Ammersbek

Dr. Ruth Ewertowski, ­geboren 1963, Autorin und ­Redakteurin, ­Stuttgart