100 Jahre Verlag Urachhaus

AutorIn: Michael Stehle

Im 23. Januar des Jahres 1925 trafen in Stuttgart drei Menschen zusammen, um einen Verlag zu gründen, der den Namen »Verlag der Christengemeinschaft GmbH« tragen ­sollte. Die Priesterin Gertrud Spörri, der Priester Emil Bock und der Buchhändler Ernst Scheiffele über­nahmen damit den Auftrag, theologische Bücher für die Gemeinden der 1922 gegründeten Christengemeinschaft zu veröffentlichen.
Ein Blick auf die zurückliegenden 100 Jahre zeugt von einer sehr lebendigen Entwicklung: 1936 wurde der Name geändert. Noch im Auto zum Notar wurde diskutiert, wie der neue Name lauten sollte, bis man sich schließlich bei der Ankunft entschieden hatte: In Anlehnung an das Domizil in der Stuttgarter Urachstraße wurde der Name »Verlag Urachhaus« aus der Taufe gehoben – benannt nach dem Herzog von Urach, dem die Straße ihren Namen verdankt. Im Juni 1941 stürmte die Gestapo das Gebäude, es folgte die Liquidation. 1946 nahm man die Arbeit wieder auf und öffnete sich von den 60er Jahren an für neue Themen, unter anderem der Kunst- und Kulturgeschichte.

Mit Cordelia Böttchers Felix Nadelfein erblickte im Jahr 1975 das erste Bilderbuch das Licht der Welt, illustriert von niemand Geringerem als Walther Roggenkamp, damals noch unter dem Pseudonym Peer Rugland. In zahlreichen Gemeinden war der Wunsch entstanden, den jungen Familien »eigene« Bilderbücher anbieten zu können. Wie nachhaltig dieser Wunsch erfüllt werden konnte, zeigt sich darin, dass Felix Nadelfein bis heute Teil unseres Programms ist.

1984 erschien die erste Auflage der Kindersprechstunde, die heute in der 22. Auflage vorliegt – eine verlegerische Großtat des damaligen Verlegers Johannes M. Mayer, der die Leitung 1965 übernommen hatte.
Im Jahr 1987 folgte als ein weiterer Meilenstein der erste Band der neunbändigen Stuttgarter Ausgabe der Werke und Briefe Christian Morgen­sterns. Ohne die tatkräftige Unterstützung durch Johannes Lenz, der nach dem Tod des Dichters für Margarete Morgenstern eine wichtige Bezugsperson wurde, wäre diese bis heute maßgebliche kritische Ausgabe niemals möglich geworden.

Mitte der 90er Jahre traten Probleme auf, die den Verlag ins Schwanken brachten. Urachhaus hatte sich mit opulenten Bildbänden zur Kunst- und Kulturgeschichte mittlerweile einen Namen gemacht; Frank Teichmanns Reihe Der Mensch und sein Tempel, die prächtige Monographie Raphael von Urbino – Leben und Werk von Wilhelm Kelber und zahlreiche andere Werke, die weit über eine anthroposophisch interessierte Leserschaft hinaus Eingang in private und öffentliche Bibliotheken fanden, verliehen dem Verlag eine bis dahin ungekannte Strahlkraft. Es zeigte sich jedoch, dass es auch eine Kehrseite der Medaille gab.
»Kommerzielle Erfolge um ihrer selbst willen haben mich nie wirklich interessiert«, wird Mayer im Nachruf von Michael Debus aus dem Jahr 2023 zitiert. Und weiter: »In mir lebten Gedanken und Ideen, die ich etablieren wollte, und das hat mir nebenbei bemerkt immer wieder auch eine Menge Ärger eingetragen.«

Das Jahr 1994 brachte den Zusammenschluss des Verlags mit dem Verlag Freies Geistesleben. Gemeinsam zog man in die Landhausstraße 82 im Stuttgarter Osten, in der die GmbH bis ­heute ihre Heimat hat. Mit Frank Berger kam ein neuer Verlagsleiter, der in den Zeiten des Umbruchs im Buchhandel – damals begann bereits die Zeit der großen Buchhandelsketten, die kleineren Buchhandlungen das Leben zunehmend erschwerten – die Aufgabe hatte, den bereits eingeschlagenen Weg »mit der Nische über die Nische hinaus« konsequent weiter zu verfolgen.  

Im Jahr 2003 ereilte ihn dann ein Anruf, der das Gesicht des Verlags in signifikanter Weise verändern sollte: Eine Autorin und Illustratorin hatte von unseren Kollegen der Zeitschrift Vorhang auf! den Hinweis erhalten, sie solle sich doch einmal bei Urachhaus melden, wo man vielleicht daran interessiert wäre, ihre Bilderbücher herauszubringen. Das Resultat war im Februar 2004 die Veröffentlichung von Daniela Dreschers Bilderbuch Komm mit ins Elfenland, das inzwischen in der 10. Auflage vorliegt. Mit Die 100 schönsten Märchen der Brüder Grimm und mittlerweile mehr als 50 weiteren Büchern, Kalendern und Postkartenbüchern zogen Schätze ins Programm ein, die inzwischen weltweit Kinder, Eltern und Erziehende erfreuen. Auch Kooperationen mit befreundeten Unternehmen wie Ostheimer, Grimm Holzspielzeug und Wala waren die Folge.

Hieß es im Almanach zum 75-jährigen Bestehen des Verlags noch: »Manche Rubriken wie z. B. die anspruchsvolle Belletristik mussten mangels Echos wieder eingestellt werden«, sollte sich dies im Jahr 2007 mit dem Erscheinen des Romans Marie des Brebis des Franzosen Christian Signol ändern. Schon bald zeigte sich, dass es diesmal sehr wohl ein Echo gab; der zweite Anlauf, die Belletristik im Verlag zu etablieren, stand offensichtlich unter einem besseren Stern, wie die mittlerweile an die 50 Romane, Erzählungsbände und Anthologien zeigen.

Ebenfalls eine wachsende Rolle haben in den letzten Jahren die Ratgeber der Reihe aethera eingenommen. Mit 20 Titeln ist auch diese Reihe ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil des Programms.

Nach 18 Jahren als Verlagsleiter schied Frank Berger im Dezember 2012 gesundheitsbedingt aus und äußerte den Wunsch, sein dreiköpfiges Lektoratsteam möge sich künftig um die Ge­schicke des Verlags kümmern – ein Wunsch, der nach einer kurzen Interimszeit und Findungsphase umgesetzt wurde.

»Aber immer wieder erreichten den Verlag auch Fragen wie: Ist das, was da als neues Buch erscheinen soll, im Sinne der Christengemeinschaft wirklich unser Thema
Dieses Zitat stammt noch einmal von ­Michael Debus – und es bezieht sich nicht etwa auf die jüngste Vergangenheit und Gegenwart, sondern auf die Ära 1965–1993 unter Johannes Mayer.

In den letzten Jahren erlebten die Bereiche Theologie und Religiöses Leben im Vergleich zur Vergangenheit wieder mehr Aufmerksamkeit. Es ist schwer möglich, allen Wünschen gerecht zu werden, wenn es etwa um die Verfügbarkeit sämtlicher Grundlagenwerke der Christen­ge­mein­schaft geht. Und doch kann diesem Wunsch mittlerweile auch mithilfe des Print-on-Demand-Verfahrens in höherem Maße entsprochen werden, als dies in der Vergangenheit möglich war. Die aus dem Dortmunder Michaeli-Kongress vom Oktober 2022 hervorgegangene LOGOS-edition ist ein weiteres Zeichen für die neue Verbundenheit zwischen Christengemeinschaft und Verlag.

Vieles gäbe es noch zu erwähnen, doch für eine umfassende Geschichte des Verlags kann der Raum hier nicht genügen. Wenn Sie aber Fragen und Anregungen zu unserem Programm haben, schreiben Sie uns gern an:
vasb@henpuunhf.pbzmoc.suahhcaru@ofni

1  Siehe Heft 7/8 2023 oder: https://christengemeinschaft.de/zeitschrift/202307/johannes-mayer-20819….

 

Michael Stehle, geboren 1970 kam im Oktober 2000 als Lektor in den Verlag Urachhaus, dessen Leitung er im Februar 2015 übernahm. Stuttgart