Das Priesterseminar Stuttgart und seine Hülle(n) Ein nächster Schritt steht an

AutorIn: Georg Schaar

Wer vom Urachplatz kommend in die Spittlerstraße einbiegt und ihrem Verlauf folgt, erblickt nach kurzer Zeit auf der linken Seite, direkt vor der Hangkante zum großen Talkessel hin, ein eindrucksvolles Gebäude. Rötliche Mauern, von vielen Fenstern durchbrochen, wer­den oben von einem vielflächigen Dach aus schwarzem Schiefer begrenzt. Der Bau folgt dem Straßenverlauf in einem leichten Winkel, in ­dessen innerem Scheitel sich unter einer wuchtigen ­Betonumrandung die zentrale Eingangstür öffnet. Der erste Eindruck ist: Das alles steht groß und dauerhaft in der Welt, als wäre es schon ­immer da. Aber natürlich stimmt das nicht. Wie ist denn dieses Gebäude so geworden, wie es jetzt vor dem Betrachter steht?

Gehen wir kurz zur Gründungszeit der Christengemeinschaft zurück. Es waren intensive Zeiten: Alles, was später einmal wesentlicher Bestandteil der neuen Initiative werden ­sollte, musste – wenigstens im Keimzustand – bedacht und veranlagt werden. So nimmt es nicht wunder, dass schon vor dem eigentlichen Gründungsaugenblick in den Septembertagen 1922 die Persönlichkeiten, die sich für diesen Impuls zur Verfügung stellen wollten, an die Ausbildung künftiger Kollegen dachten. Dies umso mehr, als Rudolf Steiner, dessen Hilfe sie mit größtem Dank als entscheidende Grundlage für die Verwirklichung ihres Impulses empfanden, eine wesentlich größere Anzahl an Mitstreitern erwartet hatte als die 45 Menschen, die dann die Gründung in die Wege leiteten.

Bereits im Januar 1923 begann die Ausbildung neuer Priester in mehrwöchigen Kursen an verschiedenen Orten, meist in Stuttgart, im ­so­genannten »Urachhaus« in der Urachstr. 41. Da wurde in der mitreißenden Aufbruchstimmung äußerlich viel improvisiert! Die Teilnehmerzahlen an diesen Kursen wuchsen in den zwei folgenden Jahren erstaunlich: Es kamen zum Teil 40 bis 50 Menschen. So war es nur folgerichtig, dass ab 1925 erste ernsthafte Überlegungen wegen geeigneter Räumlichkeiten angestellt wurden. Und es blieb nicht bei den Überlegungen: Am 27. April 1927 wurde in der Spittlerstraße für 135.000 Mark das Gelände gekauft, auf dem der Seminarbau verwirklicht werden sollte – eine erstaunliche Leistung angesichts der immer noch sehr prekären wirtschaftlichen Verhältnisse. Gleich im Anschluss daran, im Juni 1927, erschien in dieser Zeitschrift eine Artikelserie »Vom Seminar und Seminarbau«, in der die Grundideen für ein Seminargebäude skizziert wurden. Drei Nutzungsziele wurden benannt: Es sollten erstens angemessene Räume für den Kultus, die Lehre und Kunst geschaffen werden – sowie ruhige Wohnräume für Studenten. Zweitens sollte mit einem Seminargebäude ein Veranstaltungsort für Tagungen, Kurse und Konferenzen bereitstehen. Und drittens wurde als groß gedachtes Entwicklungsziel, für welches das neue Gebäude eine erste Hülle bilden sollte, die Idee einer »christlichen Volksuniversität« mit umfassendem Ausbildungsanspruch beschrieben.

So schnell, wie zunächst erhofft, ließ sich der Bauimpuls dann aber doch nicht verwirklichen. In Dornach wurde in diesen Jahren das zweite Goetheanum errichtet. Mit Blick auf die dafür nötigen Mittel aus der gesamten anthroposophischen Bewegung wurden die eigenen Baupläne zurückgestellt. Erst im Sommer 1930 wurde der Beschluss für einen Seminarbau gefasst und der Architekt Helmuth Lauer aus Stuttgart mit dem Entwurf beauftragt. Am 18. Februar 1932 wurde der Grundstein gelegt und bereits nach einem Jahr, am 14. März 1933, konnte das neue Seminargebäude eingeweiht werden.

Was für eine Engführung: Während am Beginn diesen Jahres 1933 die Kräfte aus dem Abgrund ungehindert zu wirken beginnen konnten, ­wurde in dem neuen, noch relativ klein dimensionierten Haus mit 15 Teilnehmern versucht, an einer ganz anderen Kultur zu bauen. Und nicht nur das – in großen öffentlichen Ferienkursen strahlte diese innere Bautätigkeit weit in den Umkreis hinaus! Immerhin acht Jahre, bis zum Verbot der Christengemeinschaft am 9. Juni 1941, konnte so gearbeitet werden. Mit dem Verbot – das zugleich das Ende der Seminarausbildung bedeutete – mussten alle äußeren Tätigkeiten in jeder Hinsicht nach innen genommen werden. Und so war die vollständige Zerstörung des Seminargebäudes bei einem Bombenangriff am 19. Oktober 1944 nur der Abschluss der schon lange vorher begonnenen Entwicklung.

Nach dem Kriegsende 1945 wurde sofort wieder mit der Ausbildung begonnen. Sie fand, wie schon am Beginn in den 1920er Jahren, in rasch improvisierten Örtlichkeiten statt – in ­Gemeinderäumen und im Stuttgarter Lehrer­seminar. Schnell war klar, dass ein neuer Seminarbau dringend gebraucht wurde. So begann man wieder zu planen – im Wesentlichen auf dem gleichen Grundriss wie bei dem ersten Gebäude, aber etwas höher. Aus Kostengründen wurde die Ausführung mit 217.000 DM sehr leicht und günstig konzipiert. Das Bauen selbst ging dann vergleichsweise schnell: Am 17. Juli 1952 wurde mit den Arbeiten begonnen. Und bereits am 25./26. April 1953 konnte dieser zweite Bau eingeweiht werden.

Die nun folgenden 15 Jahre waren so fruchtbar, dass ab 1967 konkrete Überlegungen angestellt wurden, wie man für die wachsenden Stu­dentenzahlen Raum schaffen könnte. Zwei Denkrichtungen ergaben sich: Erweiterung des bestehenden Gebäudes oder ein Neubau an einem anderen Platz. 1976 wurde die erste Variante beschlossen: Ein Neubau an Stelle des zweiten Seminargebäudes in der Spittlerstraße! Die Planungen erwiesen sich allerdings als außerordentlich anspruchsvoll, mussten sie doch vielfältige Richtlinien und Vorgaben berücksichtigen, um an dieser Stelle einen wesentlich größeren Neubau realisieren zu können. Dieser sollte ja nicht nur größere Räume für Unterricht, Kultus und Hauswirtschaft umfassen, sondern auch Einzelzimmer für 30 Studenten bieten. Viele Einsprüche aus der Nachbarschaft mussten einbezogen und entkräftet werden, so dass erst am 29. Oktober 1979 die Baugenehmigung erteilt werden konnte. Dank der sorgfältigen Planung durch das Architekturbüro von Johannes Billing, Jens Peters und Nikolaus Ruff wurden nicht nur diese adminis­trativen Hürden bewältigt, sondern auch eine so realistische Kostenplanung vorgelegt, dass die Schlussrechnung im Rahmen der veranschlagten Kosten von 6 Millionen DM blieb. Ein Seitenblick auf gegenwärtige Großbauprojekte vor Ort und an anderen Stellen verbietet sich …
 
Die Bauphase an sich nahm im Vergleich zur Planungs­phase wieder sehr viel weniger Raum ein. Am 26. Dezember 1980 wurde ein feierlicher Abschied vom zweiten Seminargebäude gefeiert. Unmittelbar im Anschluss wurde das Gebäude abgerissen und die Baugrube ausgehoben. Zwischen der Grundsteinlegung am 18. Oktober 1981 und der Einweihung des dritten Seminargebäudes am 16. September 1982 verging nicht mal ein Jahr – kaum zu glauben bei der Größe und Komplexität des Gebäudes!

Seitdem sind 43 Jahre vergangen. Viele Studentengenerationen haben wichtige Ausbildungserfahrungen in diesem Gebäude durchlebt. Es ist trotz intensiver Nutzung nicht einfach abgenutzt, sondern über die ganze Zeit von den Mitarbeitern und Bewohnern in seinem Bestand sorgfältig gepflegt und erhalten worden. Trotzdem machen sich an vielen Stellen nun schlicht das Alter und auch deutlich geänderte Lebensbedingungen bemerkbar. Am dramatischsten zeigte sich dies am Dach aus deutschem Schiefer, der mittlerweile so verwittert ist, dass ein Wassereinbruch im Winter 2023 nur noch sehr mühsam – und wohl letztmalig – abgedichtet werden konnte. Aber ebenso werfen alle anderen Bereiche des Baues Fragen im Blick auf die Zukunft auf: Wie soll das große Gebäude mit der älteren Heizung in Zukunft mit Wärme und Energie versorgt werden? Könnten die Bäder und Toiletten bei einer Erneuerung mit den heutigen Mitteln so gestaltet werden, dass sie weniger verwinkelt und damit einfacher zu pflegen sind? Das Internet gehört heute als Korrespondenzmedium in vielerlei Hinsicht (Finanzen, Behörden, Recherche, Kommunikation) zum Leben dazu. Ein einziger Computerraum reicht nicht mehr aus – könnte jedes Studentenzimmer Zugang zum Internet bekommen? Die Haustechnik ist älter und anfälliger geworden – könnte sie auf einen aktuellen Stand gebracht werden? Schließlich: Wenn schon Erneuerung, dann wohl auch Renovierung der Innenräume und Fußböden? Und braucht es heute aus den Erfahrungen der Gegenwart an einigen Stellen eine andere Raumaufteilung?

So stehen wir heute vor der großen Aufgabe, mit einem weiten Schwung nach vorn zu denken und die Frage zu beantworten, wie eine hilfreiche Hülle für die Ausbildung der nächsten fünfzig Jahre aussehen könnte. Es wird eine große und schöne Aufgabe der gesamten Christengemeinschaft sein, bei diesem vierten Schritt in Stuttgart kein neues, aber ein durch und durch verjüngtes Gebäude zu schaffen. Auch mit diesem Artikel soll das Bewusstsein von diesem christengemeinschaftsweiten Impuls an möglichst viele Stellen getragen werden. Helfen Sie doch, soweit es in Ihren Kräften liegt, mit, dass die schon vorgedachten Schritte verwirklicht werden können!


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Georg Schaar, geboren 1967, ­Priester, Stuttgart