Zwölf Fragen an Wolfgang Müller – ein Interview

Zwölf Fragen an Wolfgang Müller –                             ein Interview

Sarah Knausenberger: Ihr Vortrag im September trägt den spannenden Titel: „Wer hat denn eine Barrikade vor die geistige Welt gestellt?“. Was hat es mit diesem Zitat auf sich, warum haben Sie es gewählt?

Wolfgang Müller: Das ist ein privater Notizbuch-Eintrag von Rudolf Steiner. Er hat ja nun in Büchern und tausenden Vorträgen versucht, das heute dominierende, eher schmale Weltverständnis zu erweitern. Aber die inneren und äußeren Hindernisse dabei sind immens. Da darf man auch mal im Stillen seufzen. – Das Zitat signalisiert also eigentlich beides: die Größe der Aufgabe, aber auch die Notwendigkeit, sie trotz aller Widrigkeiten anzugehen.

SK: Drei Sätze aus Ihren Notizen zu dem Vortrag, den Sie gerade vorbereiten.

WM: Wie eng sind doch die seelischen Landschaften der Moderne geworden! – Wem, wie der heutigen Naturwissenschaft, große Weltbereiche gar nicht zugänglich sind, dem würde etwas mehr Bescheidenheit gut anstehen. – Wie können wir Kindern eine weiche Landung in dieser Welt ermöglichen?

SK: Wann haben Sie die Christengemeinschaft kennengelernt und was war Ihr erster Eindruck?

WM: Das war einige Zeit, nachdem ich die Anthroposophie kennengelernt hatte. Und der erste Eindruck: wirkt ziemlich katholisch, mit Weihrauch, Sich-Bekreuzigen, Schwerpunkt eher in der Liturgie, weniger (wie im mir vertrauten Protestantismus) in der Predigt. – Mir gefällt der tiefe Ernst. Ich persönlich habe aber wohl keinen großen Bedarf an Kultus. Anthroposophie ohne Christengemeinschaft hätte mir wohl genügt. In meiner Umgebung allerdings sind Menschen, die ich sehr mag und schätze und die da anders empfinden

SK: Heute sind Sie eine Art „Botschafter der Anthroposophie“[1] geworden. Wie kam es dazu? Wann haben Sie gemerkt, dass Sie der Anthroposophie Ihr Herz verschrieben haben?

WM: Nein, ein Botschafter bin ich nicht. Ich hatte nur eines Tages – ziemlich genau vor zehn Jahren – den Verdacht, dass diese etwas seltsame Anthroposophie doch auf tiefe Wahrheiten hindeuten könnte. Das versuche ich nun in Ruhe (naja) zu erwägen und ein wenig zu klären. – Ob ich der Anthroposophie mein „Herz verschrieben“ habe, weiß ich nicht. Ich lasse mich nicht eingemeinden. Allerdings, stimmt schon, ich wundere mich manchmal, mit welcher inneren Bestimmtheit ich mich diesem Thema zuwende. An sich war ich zwar geistig immer recht vielseitig interessiert, aber nicht besonders bindungsfähig.

SK: Sind CG und die AG (Anthroposophische Gesellschaft) zu abgeschottet? Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

WM: Ja, man hat sich hundert Jahre lang zu sehr in der Nische bewegt. Einerseits verständlich, weichen doch manche Gesichtspunkte der Anthroposophie so weit vom gängigen Weltverständnis ab, dass sie nicht leicht zu vertreten sind. Andererseits sollte das nur eine Ermutigung sein, die Dinge möglichst durchgreifend zu verstehen, um dann besser als bisher in einen freien Dialog der Anschauungen eintreten zu können.

Das setzt allerdings auch voraus, dass man sich wirklich für die Welt interessiert, mit der man kommunizieren will. Wenn man deren Gesichtspunkte kaum kennt oder nur von oben herab registriert, wird man selbstverständlich nicht ernstgenommen.

SK: Ist eine gewisse Abgeschlossenheit notwendig, wenn wir es mit der geistigen Welt zu tun haben? Beispielsweise hat nicht jeder Nah-Todes-Erlebnisse. Welche Gefahr besteht, wenn wir die geistige Welt „preisgeben“?

WM: Da bin ich unsicher. Grundsätzlich meine ich (mit Steiner), dass heute alles unter dem Gesetz der Öffentlichkeit steht. Aber es gibt auch eine Art Taktgefühl, wenn es um schwierige Fragen geht. Das beginnt schon bei persönlichen, emotionalen Dingen und gilt wohl auch für tief Geistiges. Das hat dann nichts mit Geheimnistuerei zu tun, sondern mit der Frage, wie vorbereitet Menschen sind, wie geeignet die Situation. – Können wir überhaupt die geistige Welt „preisgeben“? Hat sie sich nicht selbst preisgegeben, lebt in allem, sollte gerade im Alltäglichen auffindbar sein? Oder besser: sollte hier in uns erwachen, gerade im Zwischenmenschlichen, in dem, was Steiner den „umgekehrten Kultus“ nennt.

SK: Warum ist es so wichtig, dass die Anthroposophie in eine „normale“ Sprache übersetzt wird?

WM: Die Form, in der insbesondere Rudolf Steiner die Dinge ausdrückte, wird immer ihre Bedeutung behalten. Wir aber sollten versuchen, gleichsam im Gespräch mit ihm die Themen neu und eigenständig zu durchdringen. Dann werden sich, wie von selbst, auch neue Ausdrucksformen finden. – Die Menschen spüren, ob jemand nur Angelesenes wiederholt oder ob das sozusagen durch den Menschen hindurchgegangen und verwandelt ist. Nur das überzeugt. Vielleicht ein Mysterium: Es gibt wohl nur eine Wahrheit – aber sie erscheint, geradezu funkelnd, in ungezählten Farben und Facetten. Auch die Anthroposophie muss sich individualisieren.

SK: Wenn Sie sich das wünschen dürften: Was würde sich am Auftritt der CG ändern?

WM: Der Auftritt – das sind wir selbst. Was nicht ausschließt, dass man auch mal Medienprofis fragt. Weltfremdheit ist kein Qualitätsmerkmal.

SK: Mit welchen Zeitfragen sollte die CG sich beschäftigen, wozu gar öffentlich Stellung nehmen?

WM: Sind nicht alle Zeitfragen grundsätzlich für alle Menschen relevant? Natürlich ist es dann im Konkreten sinnvoll, sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren, um dort eine gewisse Kompetenz zu erreichen und das lose Gerede nicht noch zu vermehren. – Öffentliche Stellungnahmen? Da bin ich unschlüssig. Vielleicht kann es in bestimmten Fällen, bei extremen Fehlentwicklungen, notwendig sein, sich klar zu positionieren.

SK: Wer war Rudolf Steiner in drei Sätzen?

WM: Ein Mensch mit einer rätselhaften Fähigkeit, tiefe Zusammenhänge zu erfassen; ein Kämpfer; einer, der das, was er war, nicht ausstellte, sondern der „immer gewissermaßen entdeckt sein“ wollte (Friedrich Rittelmeyer).

SK: In Ihrem Buch „Das Rätsel Rudolf Steiner“ zitieren Sie ihn u.a. mit: „Will denn die Menschheit ihren Untergang?“ Wie dringend ist ein Umdenken?

WM: Dringender geht es nicht.

SK: Transhumanismus ist hochaktuell, wir stehen mitten in einem Kampf um das Ich. Spielen die Unterschiede zwischen dem anthroposophischen Schulungsweg und dem kultischen Weg der CG da noch eine Rolle?

WM: Soweit ich es verstehe, ergänzen sich diese beiden Wege. Vielleicht ist es eine Frage der jeweiligen inneren Disposition, zu welchem Weg man neigt. So oder so, entscheidend bleibt, ihn zu gehen.

SK: Vielen Dank für Ihre Zeit!


[1] Sagt mein Mann Marcus Knausenberger

Verfasst von
Sarah Knausenberger

Geb. 1980, freie Autorin, Hamburg

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