Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen im Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Europa erscheint die Befassung mit der Biographie von Benjamin Franklin, einem der zweifellos größten Geister der amerikanischen Geschichte, in einem besonderen Licht. In der kürzlich erschienenen, zweiten und erweiterten Auflage zeichnet Ernst Christian Demisch in lebendiger und fesselnd geschriebener Weise das Leben eines bescheidenen und überaus fleißigen Mannes nach, welcher als Erfinder, Wissenschaftler, Diplomat und Staatsmann sein vielseitiges Wirken stets in den Dienst der anderen und des Gemeinwohls stellte. Selten profitiert wohl ein Staatswesen so sehr von der Tatkraft und dem Erfindungsreichtum eines einzelnen Bürgers. Dazu übte er offenbar auf die anderen Menschen stets eine ausgesprochen angenehme, vertrauensbildende und inspirierende Wirkung aus. Wie sehr würde man sich heute nur ein kleines bisschen von dieser bescheidenen Größe und Wahrhaftigkeit bei den Akteuren der Weltpolitik wünschen …
Von jungen Jahren an macht sich Franklin einen Lebensplan und entwickelt Methoden zur Schulung und Selbstvervollkommnung seines Charakters, der Ausbildung von Tugenden und der Erlangung von universellen Kenntnissen und Fähigkeiten. Schnell freundet man sich innerlich beim Lesen mit diesem empathischen Menschen in der Begleitung seines spannenden und sehr ereignisreichen Lebens an. Der Autor nimmt einen mit Leichtigkeit mit auf die große Reise durch die Geschichte des 18. Jahrhunderts mit zahlreichen Hintergrundaspekten und Bezügen zur europäischen und amerikanischen Geschichte. Auf den 190 Seiten taucht man ganz ein in die Welt von damals, welche doch zugleich in vielem auch mit unserer Zeit korrespondiert. Zu unrecht ist daher Franklin heute zumindest in Deutschland nur bedingt populär, anders als in Frankreich und Amerika. Dabei ist es nur zu bewundern, wie aus dem kleinen Drucker-Lehrling am Ende seines langen Lebens ein so weiser, allseits bekannter und beliebter Menschenfreund werden konnte. In vielem war er seiner Zeit weit voraus, so etwa in dem Bestreben nach gleichen Rechten für alle Menschen, nach Toleranz und der Überwindung der Sklaverei. Manch überlieferte Aussprüche, Gedanken und Schriften haben Vermächtnischarakter für die Suche nach dem Allgemeinmenschlichen und der Demut gegenüber dem Göttlichen. Und zugleich ging es ihm immer auch um die Verbesserung des ganz praktischen Lebens. Ernst-Christian Demisch setzt diesem Urvater der amerikanischen Unabhängigkeit ein schön geschriebenes und mit zahlreichen Drucken ergänztes Denkmal. Das Buch kann durchaus auch für Jugendliche als eine allgemeinbildende Lektüre empfohlen werden und zum Nachdenken über die Welt von heute und die eigenen Lebenswege anregen.

Christoph Wendt
Ernst-Christian Demisch: Benjamin Franklin – Von einem der auszog, die Welt zu verändern
Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 2. erweiterte Auflage 2024, 190 Seiten, € 16,–