Der Strom des Segens

Der Strom des Segens

An verschiedenen Orten auf der Erde gab es in den letzten Jahren immer wieder lange Zeiten der Trockenheit. Wandert man durch eine solche von Dürre geprägten Landschaft, so sieht man nicht nur die erschöpften Pflanzen, auch die Erde unter den Füßen fühlt sich anders an, und der Anblick kann sogar einen sehnsüchtigen Durst hervorrufen. Dann wird ein äußerer Sinneseindruck zu einem inneren Seelenerlebnis.

Wie wäre es, wenn ein solches Mitgefühl mit der Umgebung auch eine Art von »Naturschutz« bewirken würde? Plötzlich wäre dann auch das harmlose Kinderlied »Es regnet, Gott segnet, die Erde wird nass« eine Wahrheit, die bis in den Atem hinein Wirklichkeit wird. Der Durst nach Leben, Belebung und Erfrischung verursacht eine Sehnsucht, die sich schon auf der Suche nach Erfüllung wie Wohlgeruch, wie ein Segen in der Umgebung ausbreitet.

Wenn also der Regen als Himmelsgabe ähnlich wirkt wie ein Segen, so gibt es auch dabei Erfahrungen von »Trockenheit« in unserer Zeit: Eine Art Austrocknung macht sich geltend, wenn Kräfte aus den »Wolken«, der Lebenshülle der Erde, zwar immer wieder herabströmen, aber gar nicht bemerkt und aufgenommen werden.

Glanz aus dem Reich des Unverfügbaren

Segen wird dadurch erfahren, dass etwas wie ein Glanz aus dem Reich des Unverfügbaren, also Gnadenartigen unerwartet herniederfällt und »den Staub mit Schimmer malet«, wie es in dem Schubert Lied »Im Abendrot« heißt. Er breitet sich in die Umgebung hinein aus, die er dadurch zu etwas Leuchtendem verwandelt, sofern man den Sinn dafür entwickeln kann.

Das Wort »Segen« kommt vom lateinischen »Signum«: ein »Zeichen« für die Einwirkung des Göttlichen. In profanen Zusammenhängen kann es geschehen, dass jemand mit seiner Hand eine Arbeit »absegnet«, wenn sie mit besonderer Aufmerksamkeit und Hingabe getan worden ist.

Ich erinnere mich auch noch daran, wie eine solche Wirkung spürbar wurde, als wir in der Nachkriegszeit öfter unter Hunger litten und unsere Mutter uns damit tröstete, dass sie versicherte, auch das Wenige mit Liebe zubereitet zu haben. Und wir spürten das und fühlten uns davon mehr gesättigt als sonst.

Auf Gemälden wird der Segen zuweilen als ein Strom aus Licht, der von den Händen oder dem Haupt eines Heiligen ausstrahlt, dargestellt. Aber es gibt ihn auch unsichtbar, nur fühlbar als wirkende Kraft. So auch im Sakrament der Konfirmation. Der Priester steht zu Beginn mit erhobenen Armen vor dem Altar und »fleht« den Segen Gottes herab auf die Kinder, die dann hinter ihm sitzen. Danach wendet er sich um, hält beide Hände direkt über das Haupt jedes Kindes und leitet den Segen, den er selbst als Kraft empfangen hat, herab. Es ist möglich, dass ein Kind, das in diesem Augenblick deutlich spürt und beschreiben kann, wie es den Strom vom Kopf bis zu den Füßen ziehen fühlt. Dann ist es »eingesegnet«.

Auch ein Kranker erlebt oft die Hand seines Arztes oder eines pflegenden Menschen, wenn sie ihn liebevoll berührt, als einen Segen, wie überhaupt die Worte »heile, heile Segen« als wahr empfunden werden können. In diesem Sinn war im Urchristentum noch das Handauflegen ein eigenes Sakrament, und viele Besserungen einer Krankheit waren darauf zurückzuführen. Man könnte es eine Art »Zutat« zu einer Substanz, einer Behandlung oder einem Wort nennen, das dadurch zu einem Gebet wird.

Wir sind in der Lage, unseren Worten und Taten Kräfte hinzuzufügen, die dann in unserer Umgebung oder bei den Mitmenschen als Wohltat empfunden werden. Wie ein Strom von Licht, der in die Finsternis fließt.

Zu den Elementen der Finsternis im Wortbereich gehört alles, was Unwahrheit, Lüge und schlimmstenfalls Fluch heißt und damit eine schier tödliche, tief verletzende und zerstörerische Intention und Wirkung hat. Das Fluchen kommt daher auch in Luthers kleinem Katechismus vor im Zusammenhang mit dem zweiten Gebot. Da heißt es: »Du sollst nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen.« Darin liegt eine Art von »Antisegen«, der unsere Welt in manchen Bereichen kennzeichnet.

Im Gegensatz dazu kann Segensreiches auch weit über uns hinaus erfahren werden, das der »Austrocknung« entgegengesetzt wirkt. Ein ganzes Haus, ein Garten oder eine Landschaft atmet dann die Atmosphäre, die durch Liebe und Hingabe der Tätigkeiten und Gesinnung Einzelner oder Weniger hervorgebracht wird.

Zu den allerletzten, weit in die Zukunft hineingehenden Kraftwirkungen, die unseren Worten zugedacht werden, gehört eine mächtige Imagination im letzten Buch der Bibel, im 22. Kapitel der Apokalypse: Mitten im himmlischen Jerusalem entsteht ein neuer Garten, der ernährt wird vom Strom des lebendigen Wassers, welches unter dem Thron des Lammes als Fluss entspringt. Auf beiden Seiten dieses Stromes gibt es eine Art Allee von Bäumen, die zwölfmal im Jahr Frucht bringen. Die Blätter dieser Bäume wirken als Arznei, die dazu helfen wird, dass die Worte der Menschen ohne Lüge oder Fluch rein und wahr sein können. Das letzte Heilmittel, durch welches das Wort vom Urbeginn auch in alle Zukunft göttlichen Segen und Schöpferkraft in die Welt tragen wird durch den Menschen.

Verfasst von Mechthild Oltmann

Pfarrerin in Berlin

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