Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind (Lk 2,14)

Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind (Lk 2,14)

Wie lang es wohl noch dauern mag, bis alle Menschen auf Erden eines Willens sind? Besser gesagt: eines guten Willens oder einfach »guten Willens«? Denn individuell muss der Wille ja bleiben. Der gute Wille wird dann trotzdem für die nötige Verständigung sorgen. Aber sind wir diesem Ziel seit dem Weihnachtsereignis vor über 2000 Jahren irgendwie näher gekommen?

Eine friedvolle Welt war es jedenfalls auch nicht, in die der Messias damals hineingeboren wurde. Das Land, das er sich ausgesucht hatte, war fast immer ein Spielball fremder Mächte gewesen und nun dem römischen Reich einverleibt. Der Streit um den richtigen Umgang mit dieser Tatsache war so lebendig wie in jedem besetzten oder unterworfenen Land. Einverständnis, Anpassung, gewaltfreier oder bewaffneter Widerstand? Diese Positionen spiegeln sich auch in den Evangelien wider, wenn sie auch nicht ausdrücklich genannt werden.

Der »römische Frieden«, die »pax romana« war auch nicht das, was wir uns heute unter Frieden vorstellen. Der Zusammenhalt dieses riesigen Reiches beruhte auf der brutalen Unterdrückung aller Aufstands- und Widerstandsbewegungen. In manchen Provinzen setzten die Römer Klientelkönige (»Marionettenkönige«) ein, die die gleiche Unterdrückungsaufgabe zu erfüllen hatten, wie sie die Römer selbst ausübten. Wir kennen aus einer der Weihnachtserzählungen Herodes, der am Anfang des Matthäusevangeliums eine Rolle spielt, und aus der Passionserzählung des Lukas einen seiner Söhne, Herodes Antipas, der später Herrscher in Galiläa war.

Wenn sie nicht zum Ausgangspunkt der christlichen Religion geworden wäre, dann wäre vermutlich – ähnlich wie Herodes Antipas – auch die brutale Folter- und Hinrichtungsmethode der Kreuzigung heute in Vergessenheit geraten. Sie war im römischen Reich für die Aufrechterhaltung der Sklaverei, d.h. für geflohene Sklaven und zur Aufrechterhaltung der »pax romana«, d.h. für Terroristen und Aufständische reserviert und sollte besonders erniedrigend und abschreckend wirken.

Folter gibt es bis heute, aber niemand würde sie mehr als Mittel der Staatsraison propagieren und öffentlich ausführen lassen. Wo sie stattfindet, wird sie offiziell geleugnet. Überhaupt sei, statistisch gesehen, so heißt es, und gemessen an der Gesamtzahl der Menschen, unsere Welt in den 2000 Jahren seither sehr viel friedlicher geworden. Eine friedvolle Welt ist sie deswegen noch lange nicht. So bleibt der Gruß der himmlischen Heerscharen an die Menschen aktuell: Suchet den einen, gemeinsamen Willen! Lernet, euren eigenen Willen zurückzunehmen und neuen, guten Willen von oben zu empfangen. Der Messias, der hier geboren wurde, wird dieses Prinzip der Opferkraft, dieses Loslassen und Neu-Empfangen der Erde so intensiv einschreiben, dass auch die Hoffnung auf den Frieden neu geboren wird. 2000 Jahre sind eben noch wenig auf diesem Weg. Aber immerhin hat er endlich begonnen!

Frieden schließt Gegensätze mit ein

Später dann hat auch der Messias in seiner Lehre und auf seinen Wanderungen so manches über den Frieden zu sagen gewusst. Die größte Spannung erleben wir vielleicht im Matthäusevangelium: Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gotteskinder heißen lesen wir in der Bergpredigt. (Mt 5,9) Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert lesen wir fünf Kapitel später. (Mt 10,34). Und in der entsprechenden Stelle bei Lukas (Lk 12,49) spricht er sogar von dem Feuer, das er auf die Erde werfen will, von dem er sich wünschte, es würde schon brennen, und von der »Taufe«, die er wird erleiden müssen und vor der er Angst hat. Vielleicht hilft dieses Wort von der Taufe durch das Leiden, die Spannung aufzulösen. Diese Leidenstaufe ist es ja, die wir als Christen in jedem christlichen Kultus miterleben und mitbedenken, die uns den Tod und die Auferstehung miterleben lässt, die uns dadurch befähigt, auch Gegensätze auszuhalten und unsere eigenen Entscheidungen zu treffen. Ganz individuell und im friedlichen Anerkennen dessen, dass andere für sich anders entscheiden müssen.

Denn unsere Entscheidungen dürfen ja nicht beliebig sein, sie brauchen einen Maßstab. Und der könnte sein: Nur was vom Heiligen Geist berührt wurde, was durch das Leiden und durch das Feuer gegangen ist, d.h. nur was gestorben und wieder auferstanden ist, was geprüft wurde und sich bewährt hat, taugt für die Zukunft. Nur wer das innerlich erlebt, kann durch scharfes Unterscheidungsvermögen den Frieden fördern und Frieden stiften. Es gibt also keine Friedensstifter, die sich nicht auch mit Gegensätzen auseinandersetzen und Entscheidungen treffen mussten.

In den Abschiedsreden vom Gründonnerstag begegnet uns ein weiteres Wort vom Frieden: Den Frieden überlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie ihn die Welt gibt, gebe ich euch. Lasst euer Herz nicht verzweifeln und auch nicht schwach werden! (Joh 14,27)

Nun lassen sich natürlich mit Vorschriften Verzweiflung und Schwäche nicht verhindern. Man kann auch die Verzweiflung nicht verbieten. Sie gehört zum Leben dazu. Aber was ist es, das der Verzweiflung entgegenwirken kann? In den drei Tagen von Karfreitag bis Ostern muss die Verzweiflung der Jünger über den Tod ihres Herrn und Begleiters unendlich gewesen sein. Dann folgen die vierzig Tage der Gemeinsamkeit mit dem Auferstandenen, aber mit der Himmelfahrt ein neues Verlassensein. Erst zu Pfingsten finden die allein gelassenen Jünger das Gegenmittel dafür: Sie werden selbst aktiv. Sie beginnen, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Dann öffnen sich die Schleusen der Freude. Heiligen Geist erleben sie dabei. Die Angst verfliegt, die Schwäche ist vergessen, Mut und Begeisterung sorgen dafür, dass sogar die Sprachbarrieren fallen. Alle verstehen sich. Das ist dann wie ein Vorblick auf die ferne Zukunft des wahren Friedens zwischen allen Menschen.

Aber kehren wir noch einmal zurück zum Osterfest. Mit dem Friedensgruß Der Friede sei mit euch (Joh 20,19) begrüßt der Auferstandene seine erstaunten Jünger. Das ist natürlich zunächst einmal der alltägliche Gruß der semitischen Sprachen bis heute: Salaam aleikum / Schalom alejchem, und insofern ist es noch nicht automatisch tiefgründiger als ein »Guten Tag« oder ein »Lass es dir gut gehen«. Andererseits: wer spricht es hier aus? Der, der seinen Leib dem Tode entrissen hat, und nicht irgendeinem Tode, sondern wie schon gesagt dem ungefähr schrecklichsten Foltertod, der sich überhaupt vorstellen lässt: dem langsamen, qualvollen Sterben an einem römischen Folterkreuz. Nun tritt er in seiner neu errungenen geistig-physischen Daseinsform mitten unter seine Freunde und spricht ihnen den Frieden zu, der nach allem Erlebten sicher noch nicht die Hauptempfindung in ihren Seelen ist.

Das wiederum bedeutet: Nichts ist unüberwindbar, nicht einmal der Tod und die Verzweiflung. Damit sind wir bei der Friedensbotschaft des Osterfestes angekommen. Wir können eine friedlose Welt nicht gewaltsam zum Frieden zwingen, das wäre absurd. Das war auch nicht das Ziel der Tat des Christus auf Golgatha. Wohl aber können wir den Frieden fühlen, den er dem Sterben abgerungen hat, und ihn in uns einziehen lassen. Dann könnten wir zumindest versuchen, solchen Frieden um uns herum zu verbreiten und so den Frieden in der Welt ein wenig zu vermehren.

Und da die Abschiedsreden vom Gründonnerstag eine Fundgrube sind für alle Erlebnisse, auch für die nachösterlichen Erlebnisse der Jünger wie auch der christlichen Menschheit, sei zum Abschluss noch ein weiteres Friedenswort daraus zitiert:

Solches habe ich zu euch gesprochen, damit ihr in mir Frieden findet. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden (Joh 16,33).

In innerer Bewegung bleiben

Seelenfrieden zu finden ist ein hohes Ziel und, wenn wir ihn erreichen, auch eine große Freude. Meistens geht er uns leider auch wieder verloren. Denn er ist eine Gleichgewichtsübung. Wir erleben das am eigenen Leibe: Ein körperliches Gleichgewicht gibt es nur durch Bewegung. Ständige, kleinste Bewegungen halten uns aufrecht. Würden wir völlig erstarren, dann würden wir sofort umfallen.

So liegt es nahe, auch in unserer Seele einen ähnlichen Vorgang zu vermuten: Auch das seelische Gleichgewicht wäre dann nur zu halten, wenn wir nicht erstarren, sondern ständig in Bewegung bleiben. Dann kann ein Erleben inneren Friedens sich einstellen. Das ist ein Lernprozess. Und wenn wir ihn einmal so benennen: Loslassen lernen, um Frieden zu finden – dann verstehen wir auch den Zusammenhang mit dem Erdenleben des Christus. Denn von seinem Weggang hat er rechtzeitig vorher zu seinen Freunden gesprochen. Zweimal müssen sie auf die große Nähe zu ihm verzichten lernen: am Karfreitag und am Himmelfahrtstag. Sie leisten diesen Verzicht zugunsten der ganzen Menschheit. Aber so kann und wird auch die Liebe zur Menschheit in ihre Herzen einziehen.

Sagen und singen das alles die Engelchöre schon am Weihnachtsabend voraus? Engel haben immer ein wenig mehr Überblick als wir Menschen. Auch in Richtung Zukunft. Sie wissen, dass hier ein Friedensbringer geboren wird. Sie wissen wohl auch, dass die Menschheit zum Frieden nicht gezwungen werden kann. Und sie dürften auch schon gewusst haben, dass deshalb der Friedensbringer, der hier als Heiland der Welt geboren wird, uns nicht zum Frieden zwingen kann. Er wird uns Keime des Friedens in die Hand geben. Er wird leiden und das Leiden überwinden. Er wird den guten Willen in uns anregen, Friedensstifter zu werden.

Verfasst von Michael Bruhn

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