Segnen – das göttliche Licht erbitten

Segnen – das göttliche Licht erbitten

Ein kleiner Junge, der noch nicht lange zur Schule geht, fragt die Mutter abends beim Gutenachtsagen: »Was heißt eigentlich Segen?« Die Mutter überlegt einen Moment und sagt dann: »Wenn der Priester bei der Sonntagshandlung die Arme ausbreitet und den Gottesgeist bittet, bei euch zu sein: das ist ein Segen.« Nachdem der Junge die nächste Sonntagshandlung erlebt hat, sprechen die beiden wieder darüber und das Kind berichtet: »Als der Priester die Arme ausgebreitet und die Worte gesprochen hat, da ist so ein Licht in mich reingekommen.«

Im evangelischen Gottesdienst, den ich als Kind oft erlebt habe, ist der Segen ein wunderbarer, umhüllender Bestandteil des Rituals: »Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden« (4 Mose 6,24-26).

Dieser Segen geht zurück auf das Alte Testament, auf eine Zeit, in der die schutz- und kraftgebende Macht des Segens noch stark auch von den Erwachsenen erlebt wurde. Vor einer Reise wurde der Sohn von den Eltern gesegnet, und auf dem Sterbebett segnete der Vater seine Kinder und Enkel. Es war nicht nur die Bitte um göttlichen Schutz, sondern auch die Weitergabe einer Kraft, die insbesondere im Erstgeborenen weiterleben sollte.

Sehr eindrücklich wird dies bei Isaak geschildert, der im Alter erblindet ist und nun, wo er seinen Tod nahen fühlt, seinem erstgeborenen Sohn Esau den großen Segen geben will. Die Mutter Rebekka hört jedoch davon und möchte seinem Zwillingsbruder Jakob, ihrem Liebling, zu diesem großen Segen verhelfen. Während Esau auf die Jagd geht, um dem Vater – wie erbeten – ein Wildbret zu bringen, wird Jakob, der eine viel glattere Haut hat als der Bruder, mit Ziegenfellen an den Armen und den nach Wald duftenden Gewändern des Bruders verkleidet, um den Vater zu täuschen. Der Vater ist irritiert, glaubt Jakob aber schließlich, dass er der ältere Bruder sei.

Und so kniet sich dieser nieder, der Vater legt ihm die Hände auf den Kopf und spricht: »Gott gebe dir vom Tau des Himmels und von der Fruchtbarkeit der Erde im Überfluss. Völker sollen sich vor dir beugen und dir dienen. Sei der Herr über deine Brüder. Beugen sollen sich vor dir die Söhne deiner Mutter. Wer dir flucht soll selber verflucht sein. Wer dich segnet, soll selber gesegnet sein.«[1]

Es ist nicht nur ein Segen, der Tau und Fruchtbarkeit erbittet, er spendet auch Macht und Überlegenheit. Als Esau schließlich auch zum Vater kommt und der Betrug auffliegt, muss er verzweifelt feststellen, dass der Vater den einen großen Segen für den Erstgeborenen bereits vergeben hat. Auch er wird gesegnet, aber mit anderen Worten: »Ohne festen Erdboden wird dein Wohnsitz sein und ohne Tau vom Himmel …«

Im Alten Testament gibt es viele Stellen, die vom Segen Gottes berichten. So segnete der Schöpfer den siebten Tag und heiligte ihn (1 Mose 2,3) und Gott segnete Noah und seine Söhne (1 Mose 9,1). Interessanterweise sind es aber besonders Menschen, die segnen. Sie wollen etwas weitergeben an ihre Mitmenschen, was die eigene Kraft übersteigt. Im Segen wird Göttliches erbeten und weitergegeben.

Erstaunlich ist, dass es nur wenige Stellen gibt, die vom Segen Christi berichten. Im Markusevangelium hören wir, wie Christus den Kindern die Hände auflegt und sie segnet (Mk 10,16), und bei Lukas lesen wir davon, wie der Auferstandene bei der Himmelfahrt die Jünger segnet (Lk 24,50).

Wenn wir zurückgehen zum Segen des evangelischen Gottesdienstes, so wird deutlich, dass mit dem Segen auch die göttliche Nähe und sein Frieden verbunden sind. Und so liegt der Gedanke nahe, dass bereits die Anwesenheit des Gottessohnes unter den Menschen einem Segen gleichkommt, einem Licht, das die Menschen in sich aufnehmen dürfen und das ihnen Frieden schenkt.

Werden wir in den Sakramenten der Christengemeinschaft denn auch gesegnet?

Bei der Taufe kann die Segenskraft erlebt werden in der Berührung mit den drei gewandelten Substanzen und den drei großen Kreuzen, die anschließend über den Täufling gezogen werden.

Noch deutlicher wird der Segen in der Konfirmation (die Katholiken sprechen von Einsegnung), wenn um Licht, Kraft und Segen gebeten wird und der Priester später seine Hände über das Haupt jedes Kindes breitet und darum bittet, dass der Christusgeist es durch des Lebens Freuden und Leiden leiten möge.

Blicken wir auf die Trauung, so gipfelt diese in den Worten von der ganzen Menschheit Heil und Glück, gefolgt von einer großen Segensgeste, in der die ausgebreiteten Arme langsam zusammengenommen werden über der Brust.

Im Beichtsakrament tritt das Motiv des Friedens besonders hervor, und auch Priesterweihe und Letzte Ölung können als Segnungen erlebt werden.

Wie ist es nun in der Menschenweihehandlung? Eine Frau, die dieses Sakrament erstmals erlebte, zeigte sich im Anschluss sehr berührt davon, wie oft das »Christus in euch« erklingt, verbunden mit einer segnend geöffneten Haltung der Arme. Diese Verbindung mit dem Göttlichen verdichtet sich dann in den Friedensgruß bei der Kommunion, verbunden mit der zarten Berührung im Gesicht. Ist nicht auch das ein Segen? Es kann als Verinnerlichung des alten mosaischen Segens erlebt werden. Der HERR ist nicht mehr nur über uns, das Göttliche berührt uns und zieht in uns ein. Als Priesterin, die diesen Segen vermitteln darf, erlebe ich diesen Moment als besonders still, groß und innig. Ich werde so durchlässig wie möglich, auf dass ich erwürdigt werde zu segnen und das Licht des Christus einziehen kann.


[1]Siehe: Das Alte Testament nacherzählt von Irene Johanson.

Verfasst von Tabea Hattenhauer

Pfarrerin in Hamburg

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