Vom Wahn der Unvergänglichkeit

AutorIn: Ulrich Meier

Verkehrte Welt der Kunststoffe

Man rechnet heute mit einer Gesamtmenge von über 8 Mrd. Tonnen Plastik auf der Welt – mehr als die Hälfte davon ist seit der Jahrtausendwende hergestellt worden. Rechnerisch kommt damit auf jeden Erdenbürger eine Tonne Material, das aufgrund seiner zunächst erwünschten Eigenschaften zu einem wachsenden Problem wird: Chemisch erzeugter Kunststoff gilt prinzipiell als persistent – er ist weitgehend beständig gegenüber dem natürlichen biologischen Abbau. Zwar gibt es bereits eine Anzahl von Ländern, die den dort anfallenden Plastikmüll überwiegend dem Recycling und/oder der Verbrennung zuführen und in der gesamten EU soll bis 2020 das Ziel erreicht werden, keine Plastikabfälle mehr auf Müllhalden zu deponieren – dennoch wird erfreulicherweise immer lauter darauf hingewiesen, dass dem Überfluss an Kunststoffen dringend durch konsequente Vermeidung z.B. von Plastikverpackungen entgegengetreten werden muss. So wurden auch die Verantwortlichen dieser Zeitschrift dankenswerterweise durch eine wachsende Anzahl von Zuschriften in den letzten Jahren immer wieder veranlasst, nach Alternativen für die Versandverpackung aus Kunststoff zu suchen. Nun haben wir eine Lösung gefunden, die uns auch finanziell tragbar erscheint und lassen bereits seit der Sommerausgabe die Hefte (wieder) in Papierumschlägen versenden – verbunden mit der Hoffnung, dass die Umschläge weiterverwendet oder dem Altpapierrecycling zugeführt werden, da ansonsten keine Verbesserung bezüglich der Energiebilanz erreicht wäre.

Jenseits aller Fragen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes entspringt die Überflussproduktion von Kunststoffen einem tendenziellen Ungleichgewicht in der heute gängigen Auffassung von Welt und Mensch: Die Erhaltung des Lebendigen vor dem Verfall kehrt sich in die fragwürdige »Schöpfung« einer Welt, die der Vergänglichkeit kaum mehr zugänglich ist und dadurch schädlich wirkt. Es ist ein gewaltiger Irrtum – wenn nicht gar ein Wahn –, dass es irdisches Leben ohne Tod geben könnte. Die Vergänglichkeit der Natur ist ein Teil ihres Lebens und gerade nicht ihr Gegenteil: Ohne das Absterben könnte sich ihr Leben nicht erneuern. Mit jedem Einkauf, mit jeder Verarbeitung von Lebensmitteln und erst recht mit dem Essen treten wir in eine lebendige Beziehung zu dem, was an Nahrungsmitteln heranwächst und reift – und was wir vor deren Verderbnis zum Aufbau unseres Leibes und zur Erhaltung unseres eigenen Lebens zum Verbrauch geschenkt bekommen. Wäre es nicht viel eher angebracht, für die flüchtigen Gaben der vergänglichen Welt dankbar zu sein, statt sie mit unzureichenden Mitteln für eine vermeintliche Unvergänglichkeit aufzubewahren?

Wie jeder Irrtum und vielleicht auch jeder Wahn ist natürlich auch die Sehnsucht nach dem Unvergänglichen eine berechtigte Empfindung der Seele. Nur sollten wir sie nicht auf einer Ebene suchen, auf der sie Schaden anrichtet, sondern dort, wo sie gleichermaßen Quell und Ziel des Werdens ist: In der Begegnung und Verbindung mit dem Ewigen, mit dem geistigen Ursprung allen Lebens und Werdens, dem sich Seele und Geist zuwenden können, um für dessen Wirksamkeit bis in die irdischen Verhältnisse hinein Sorge zu tragen: Dass uns große Gedanken, die Erhabenheit künstlerischer (nicht künstlicher) Gestaltung und die religiöse und spirituelle Zuwendung zu der uns anvertrauten Erde und zu den Mitmenschen mit einer wahrhaft unvergänglichen Welt verbindet – diese Aussicht könnte uns ohne weiteres für die Rückkehr zu einer freudigeren Anerkennung des Vergehens in der natürlichen Welt entschädigen.