Gründungskontext und frühe Jahre
Die Christengemeinschaft wurde am 16. September 1922 aus einer Gruppe von hauptsächlich evangelischen Studenten und Pfarrern unter Leitung von Friedrich Rittelmeyer u.a. gegründet. Sie hat vielfach Anregungen aus der Anthroposophie und insbesondere aus Rudolf Steiners Christus-Begriff aufgenommen. Von Stuttgart/Dornach aus breitete sich die neue Bewegung rasch in deutschen Großstädten aus. Hamburg gehört seit den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu den wichtigen norddeutschen Standorten. Rittelmeyer blieb als erster Erzoberlenker (ab 1925) prägende Leitungsfigur bis zu seinem Tod 23.3.1938. Er verstarb in der Hamburger Gemeinde in der Johnsallee. Die Hamburger Gemeinde bewahrt sein Andenken als zentrale Gestalt der Bewegung u.a. in der Namensgebung des Rittelmeyer-Saals.
Die erste Menschenweihehandlung (verbunden mit der Priesterweihe von Rudolf Meyer) in Hamburg fand am 20.10.1922 im Haus Hemsoth, Harvestehuder Weg 13 statt. Die erste öffentliche Menschenweihehandlung wenige Wochen später am 5.11.1922 in der Freien Goetheschule in Wandsbek, Jüthornstr. 4a.
Auf der Suche nach einer würdigen Stätte für die Gemeinde fand der Pfarrer Dr. Johannes Hemleben im Winter 1929 die Villa in der Johnsallee 17. Carola von Bülow (* 1886) schenkte der Gemeinde fast die gesamte Summe, die zum Kauf dieses Hauses nötig war. Einige biographische Angaben zu Frau C. v. Bülow finden sich in der Gemeindechronik von Marianne Piper (Literatur siehe unten) und in Annette Schmidt-Klügmann Bernhard Wilhelm von Bülow – 1885-1936. Eine politische Biographie, Paderborn 2019) .
Bis zur Errichtung des Kirchenbaus im Jahr 1955 musste die Menschenweihehandlung an den verschiedensten Orten in Hamburg vollzogen werden. Dazu gehören u.a. das Curio-Haus, die Freimaurerloge in der Welckerstr. 8 sowie ein Saal über einem Kino am Eppendorfer Baum 35/37 (ab 1937 bis 1955).
Der Kirchenbau in der Johnsallee
Im Sommer des Jahres 1943 zerstörten Bombenangriffe das benachbarte Zwillings-Haus in der Johnsallee „Nr. 15“. Es brannte völlig aus. Die heutige Johannes-Kirche wurde auf diesem Grundstück 1955 errichtet (Architekt: Dr. Günter Schween) und am 25.9.1955 eingeweiht.
Das Architekturbüro Dr. Schween & Partner wurde in Hamburg vor allem durch seine Planungen der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg „Carl von Ossietzky“ (kurz Stabi oder SUB Hamburg) bekannt (Entwurfsplanung, Ausführungsplanung, Objektüberwachung. Quelle: Hamburg und seine Bauten 1969-1984, Hrsg. Architekten- u. Ingenieur-Verein Hamburg e.V. et al., Hamburg 1984, S. 347).
Schween ging von einem reduzierten, klaren Baukörper aus, der innerlich bewegt und spirituell durchdrungen wirkt. Die zurückhaltende, konzentrierte Außenarchitektur fügt sich respektvoll in die Straßenzeile mit ihren klassizistischen Stadtvillen ein. Überraschend ist die enorme Raumhöhe, die für den Besucher von außen kaum erahnbar ist. Der Innenraum präsentiert sich als Raum der Sammlung – keine monumentale Architektur, sondern ein stiller, in sich atmender Raum, der die Gemeinde in ein gemeinsames geistiges Erlebnis führt. Der Altar als spiritueller Mittelpunkt steht in einer leicht nach innen gezogenen Apsis und führt das Bewusstsein des Eintretenden auf das Wesentliche hin – das liturgische Geschehen.
Die Johannes-Kirche gilt daher als typisches Beispiel der Nachkriegsarchitektur im anthroposophischen Geist: Sie verbindet überzeugend Sakralität und Einfachheit, Innerlichkeit und Raumklarheit.
Der „Hamburger Anzeiger“ berichtete anlässlich der Einweihung der Johannes-Kirche am 26.9.1955:
„Die Hamburger „Christengemeinschaft“ hat ihr neues Gotteshaus in der Johnsallee geweiht. Auf der ‚profanen‘ Feier überbrachte Senator Weber die Glückwünsche des Bürgermeisters Sieveking und die des Kultur-Senators Biermann-Ratjen.“
Und das „Hamburger Abendblatt“ schrieb am 22.9.1955: „Der Architekt Dr. Günter Schween stand vor einer schwierigen Aufgabe, die er taktvoll und interessant gelöst hat …“
Die Namensgebung der Johannes-Kirche fand am 27.12.1972 statt.
Das Kirchengebäude ist zusammen mit dem Gemeindehaus als Kulturdenkmal der Freien und Hansestadt Hamburg geführt (Denkmalliste Nr. 19317 und Nr. 19318).
2025 begeht die Gemeinde ihr 70-jähriges Kirchjubiläum.
Das Altarbild „Trinität“ (Margarita Woloschin)
Im Jahr 1957 schuf Margarita Woloschin (*31. Januar 1882 in Moskau; † 2. November 1973 in Stuttgart) das Altarbild „Trinität“ (175×260) für die Johannes-Kirche. M. Woloschin war eine russische Malerin, Grafikerin und Schriftstellerin („Die grüne Schlange„), die zum Kreis um Rudolf Steiner gehörte. Die Altarbildweihe fand am 27.6.1956 statt.
Die Bildidee nimmt den Typus des in der Romanik gekreuzigten Christus als Herrscher und Richter auf. Statt einer Dornenkrone trägt er eine Gloriole. Er ist Sieger über den Tod, hängt also nicht am Kreuz, sondern steht mit offenen Augen und empfangenden Armen frontal dem Betrachter gegenüber, seine Füße stehen parallel nebeneinander. Das Kreuz mit Christus ist Teil einer sog. Gnadenstuhl-Ikonografie, die den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist in einer Trinität zusammenfasst. Die Geste des die ganze Welt liebevoll umfangenden Vatergottes lässt zudem Andeutungen an das sog. Lebensrad zu, welches im Buddhismus oft für die bildhafte Darstellung karmischer Zusammenhänge verwendet wird.
Im Jahr 1955, in dem M. Woloschina an dem Altarbild arbeitete, erwarb die Hamburger Kunsthalle das Bild „Der Goldfisch“ (1925) von Paul Klee. Eine kleine Anspielung auf dieses Bild lässt sich möglicherweise in den beiden Fischen entdecken, die sich am unteren Rand des Altarbildes befinden.
Vielleicht sind die Fischlein aber auch ein Hinweis auf das Fischezeitalter, das mit dem astronomischen Wechsel des Frühlingsäquinoktiums in das Sternbild der Fische begann, was etwa zur Zeit der Geburt Jesu geschah.
In den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende entstand das christliche Symbol des Fisches, das zu den ältesten Allegorien des Christentums zählt. Vermutlich ergab sich dieses Gleichnis aus den Anfangsbuchstaben des heiligen Anagramm »Ichthys«. Es bildet sich aus dem griechischen Titel Ἰησοῦς Χριστός Θεοῦ Υἱός Σωτήρ, in lateinischer Umschrift geschrieben: Iesous Christos Theou Yios Soter, das bedeutet »Jesus Christus Gottes Sohn Erretter«. Das Bildsymbol wird so eine Zusammenfassung des Glaubens an Jesus Christus, den Sohn Gottes und Erlöser.
Sicher gibt es noch vieles mehr in dem Altarbild zu entdecken, wenn man es z.B. hinsichtlich des christlichen Jahreslaufs betrachtet, der Abbildung von Sonne und Mond oder der Farbgebung..
Im Jahr 2009 wurde das in Pflanzenfarben ausgeführte Altarbild fachmännisch restauriert.
Die Ahrend-Orgel
Die Orgel der Johannes-Kirche gilt als klanglich wie handwerklich hochwertige Disposition: Sie wurde 1975 von Jürgen Ahrend (* 28. April 1930 in Treuenhagen bei Göttingen; † 1. August 2024 in Leer) als Opus 84 erbaut und verfügt über 18 Register. Ahrend zählt zu den international renommierten Orgelbauern der Orgelbewegung.
Von Hamburg-Mitte nach Volksdorf: Gründung der Lukas-Kirche und Lazarus-Kapelle
Aus der wachsenden Hamburger Arbeit heraus entstand in den 1960er-Jahren – insbesondere für die Walddörfer – der Wunsch nach einer zweiten Kirche neben der „Mutterkirche“ in der Johnsallee. Die Lukas-Kirche Volksdorf wurde nach neunjähriger Aufbauzeit zu Michaeli 1969 geweiht – als erste Filialgemeinde der Christengemeinschaft in Hamburg. (Viele der engagierten Mitglieder stammten zuvor aus der Johnsallee-Gemeinde.)
Die Lazarus-Kapelle ist eine Filial-Gemeinde der Johannes-Kirche und befindet sich auf dem Areal der Mika-Rothfos-Stiftung in der Vogt-Kölln-Straße 155 in 22527 Hamburg. Sie kann von allen Konfessionen für Gottesdienste genutzt werden.
Vom Kindergarten zum Priesterseminar
Zur kirchlichen Infrastruktur am Ort gehört heute auch das Priesterseminar Hamburg (Johnsallee 17), das seit den 2000er-Jahren Ausbildungsangebote für die Christengemeinschaft am Standort bündelt. Ursprünglich befand sich auf dem Gelände das sog. „Kutscherhaus“, in dem über viele Jahre der Kindergarten der Gemeinde untergebracht war.
(Text: M. Malert)
Literatur
Die Christengemeinschaft in Hamburg – Eine Chronik von 1922 bis 1980, zusammengestellt von Marianne Piper, 1990, 2. Aufl.