Wandeln des Auferstandenen mit den Jüngern

AutorIn: Marcel Frank

Die Begegnungen mit Christus wirkten für die Jünger so stark, dass sie ihr Leben veränderten. Sie verließen daraufhin ihre gewohnten Aufgaben und schlossen sich ihm an. Alles, was eine Grundfeste in ihrem Leben war – z.B. der Beruf, die Familie und der Heimatort – ließen sie hinter sich. Die ersten Jüngerberufungen schienen wie aus dem Nichts zu kommen, doch die Überzeugungskraft seiner Worte war groß. Diejenigen, die einer Tätigkeit nachgingen und arbeiteten, waren zum Hören bereit. Sie hatten ein Ohr und nahmen wahr, dass die Zeit bereit war. Ob ihnen schon klar war, was es heißt: die Netze niederzulegen und die Fischerboote zurückzulassen, um von nun an »Menschenfischer« zu sein, d.h. die Suchenden zu sammeln?

 

Richten wir den Blick zuerst auf das Johannes-Evangelium. Die Berufung der ersten Jünger war durch das Hören der Täuferworte vorbereitet. Beide waren Jünger des Täufers. Dieser wies sie auf Jesus hin. Und er schilderte ihnen seine Tauferlebnisse. Er war dabei, als der für das Taufgeschehen vorbereitete Jesus an den Jordan kam und die Verwandlung mit an ihm vollzog. Auch der Täufer war ein anderer geworden. Er war von nun an ein Zeuge und konnte auf den an ihnen Vorbeiwandelnden deuten. Er nannte ihn nicht nur beim Namen, sondern er hat mehr gesehen und konnte somit sagen: »Siehe, das Lamm Gottes«. Ihm war der höhere Blick beschieden, der ihn sehen ließ, wie der Geist Gottes auf ihm und mit ihm verbunden blieb. Die überzeugende Rede des Johannes war es, die seine beiden Jünger bewegte, diesem anderen zu folgen. Doch war es weder eine Aufforderung des Johannes, welche Andreas, den Bruder des Simon Petrus, und ein anderer Jünger hörten, sondern eine Frage Jesu: »Was sucht ihr?« Und die beiden antworteten mit der Gegenfrage: »Wo lebst Du?« Daraufhin fielen die einladenden Worte: »Kommt und seht«. Und das Erschaute überzeugte sie. Die beiden Jünger hatten durch den Täufer ein Wissen erworben, das sie nun nicht nur sehen, sondern auch einordnen und verstehen konnten. Sie erkannten, mit wem sie es zu tun hatten. Andreas und der andere Jünger konnten nun sagen: »Wir haben ihn gefunden.« Kurze Zeit später fühlte sich Nathanael, der zuerst zweifelte, von Christus gesehen und verstanden, was ihn ebenfalls dazu bewegte, ihm zu folgen.

 

Viele Menschen sahen ihn als Lehrer und Heilbringer. Seine Reden und Krankenheilungen sorgten nicht allein für wohlgesonnene Anhänger, sondern auch für scharfe Gegner. Für seine Bekenner war er ein Hoffnungsträger. Doch richteten sich die Hoffnungen der Jünger auf etwas anderes als das, was sich erfüllen sollte. Als er zu ihnen von dem bevorstehenden Leid sprach, verstanden es die Jünger nicht. Den Ausblick auf Leiden und Tod konnten sie nicht mit den richtigen Ohren aufnehmen und somit nicht voraussehen. Mit den Passionsereignissen war der Jüngerkreis auf die Probe gestellt. Was sich darin als umfassende Wandlung der Welt vollzog, konnten die Jünger nicht mehr mit ihrem Bewusstsein begleiten und mitvollziehen. Einzig der Lieblingsjünger und die Mutter Jesu konnten unter dem Kreuz stehen. Der Kreis der Jünger hatte seinen Mittelpunkt verloren.

 

Erst von den Ostererlebnissen erfahren sie wieder von einigen suchenden Menschenseelen, die unbewusst geführt wurden, um zu sehen. Nach Matthäus kamen Maria Magdalena und die andere Maria an das Felsengrab und fanden es zunächst verschlossen. Die Erscheinung eines Engels des Herrn bewegte, mit äußeren Naturgewalten vereint, den Rollstein vom Eingang des Grabes hinweg. Die Frauen hatten Augen und Ohren, die die sinnlich-übersinnlichen Ereignisse wahrnehmen konnten. Nach dem Vernehmen der Auferstehungsbotschaft verließen sie das Grab mit Furcht, aber auch mit großer Freude! Mit diesen einander entgegengesetzten Seelenstimmungen begegneten sie dem Auferstandenen. Ihm gegenüber gab es keinerlei Zweifel, sie fielen vor ihm nieder und umfassten seine Füße. Die Worte des Engels und des Auferstandenen vertrieben die Furcht und verstärkten die sie erhebende Freude. Die Frauen erhielten den Auftrag, die Jünger über die Vorgänge zu unterrichten und sie zum Aufbruch nach Galiläa zu veranlassen. Wir haben es Emil Bock zu verdanken, dass er die Ereignisse im Leben Jesu Christi mit den geographischen Landschaftseigenschaften in Verbindung brachte. Greift man die Geschehnisse von Tod, Auferstehung und Himmelfahrt heraus, so vollzogen sich die Passionsleiden und die Kreuzigung im kargen und lebensfeindlichen Judäa. Der durch den Tod Gegangene weist nach dem von Leben erfüllten Galiläa. Die Jünger sollten sich vom Bereich des Unlebendigen hin in das Gebiet des Lebens begeben. Der Jüngerkreis wurde wie aufs Neue berufen. Und es hat einen Anklang an die Bergpredigt und die Verklärung, als der Auferstandene sich seinen Jüngern auf dem Berg zeigt. Die Botschaft ist deutlich und dem Jüngerkreis war sein Mittelpunkt in verwandelter Form wiedergegeben. Suchende sollten durch die Jünger weiterhin zu ihm gewiesen und durch die Taufe mit ihm verbunden werden. Von besonderem Gewicht sind die Worte, die wir zu Himmelfahrt kräftig mithören können: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende« (Mt 28,20).

 

Sehr früh am ersten Tag der Woche kamen die drei Marien des Markus-Evangeliums an das offene, leere Grab. Doch es war nicht gänzlich leer. Mit offenen Sinnen begegneten die Frauen einem weiß gekleideten Jüngling, der auf die Lebens-Todes-Verwandlung wies. Von diesem Jüngling berichtete Markus bereits bei der Gefangennahme im Garten Gethsemane, als er sich unter zugreifenden Häscherhänden verflüchtigte. Das neue Leben war in Form des Jünglings schon bei der Ergreifung des Christus Jesus sehr nahe. Es erschien den Frauen an dem Ort, der als der unlebendigste angesehen wird, dem Grab. Durch den weiß bekleideten Jüngling empfingen die Marien den Auftrag, die Jünger zu unterrichten, auf dass sie mit neuer Gesinnung und Kraft heilend in der Welt wirksam werden sollten. Als der Auferstandene sich den elf Getreuen offenbarte, waren sie bei Tisch. Für die Worte der Frauen hatten sie keine Offenheit und sie erreichten weder ihre Herzen noch den Willen. Dies änderte sich, als der Auferstandene zu ihnen gesprochen hatte und in den Himmel aufgenommen war.
Das »Miteinander-einen-Weg-Zurücklegen« und die Verwandlungsprozesse der erinnernden Seele kommen deutlich bei den Emmaus-Jüngern des Lukas-Evangeliums zum Vorschein. Ins Gespräch vertieft, bewegten sie die Geschehnisse der Tage auf ihrer Wanderschaft, was im Grunde genommen ein intensives, lebendiges Erinnern war. Die Erinnerungen bewirkten eine Vergegenwärtigung des Auferstandenen in ihren Herzen. Er kam zu ihnen, ohne dass sie ihn zunächst erkannten. Wie in einem Tagesrückblick erzählten sie sich und ihm von Neuem von den Ereignissen. Daraufhin holte der auferstandene Christus in großem geistesgeschichtlichen Bogen aus und bekräftigte die Leidensankündigungen, die er früher für seine Nächsten ausgesprochen hatte. Am Dorf angekommen, entstand ein offener Moment, indem sich der dazu gestoßene Wegbegleiter anschickte, weiterzugehen. Daraufhin baten ihn die Jünger, zu bleiben: »Bleibe bei uns!« Die Ahnung war sehr deutlich. Aber erst beim Segnen, Brechen und Austeilen des Brotes kam es zur Sinneswandlung, denn ihre Augen konnten ihn sehen, als er ihnen das Brot reichte. Nachdem er gesehen und erkannt war, wurde er wieder unsichtbar. Im Nachhinein wurde den Jüngern ihre Begeisterung bewusst, die sie auf dem gemeinsamen Weg brennend im Herz verspürt hatten. Als sie den übrigen Jüngern berichteten, stand er in ihrer Mitte und verbreitete Frieden. Auf die von Furcht erfüllten Seelen reagierte er, indem er ihnen seine Wunden an Händen und Füßen zeigte. Und sie durften darin schauen, dass diese Verwandlung für das Fortbestehen des Menschenwesens und für eine neue Schöpfung vollzogen wurde. Vor ihrer Aussendung in die Welt wurden die Jünger ermahnt, zunächst in Jerusalem zu verweilen. Die Geisteskraft aus den Höhen sollte sich zuvor auf sie hernieder senken. An einem Ort in der Nähe von Bethanien segnete er sie. Und segnend ging er in die Welt und das All ein. Mit den Sinnen konnten die Jünger nicht mehr folgen. Für sie ging er in den Bereich des Übersinnlichen, in die Wolke und den Himmel ein. Mit Himmelfahrt ließ er nicht nur seinen Frieden bei ihnen, sondern auch seine Freude! Diese kommt zum Vorschein, wenn wir in den Erdenverhältnissen Sinn erschauen.

 

Der Evangelist Johannes zeigt dem inneren Auge die weinende Maria, die ihren Herrn suchte und das leere Grab vorfand. Petrus und ein anderer Jünger hatten den Ort der Verwandlung bereits in Augenschein genommen und sich wieder entfernt. Bei einem nochmaligen Blick war Maria das Vermögen gegeben, zwei weiß gekleidete Engel zu sehen. Und als sie sich umwandte, sah sie den Auferstandenen, doch sie vermutete den Gärtner. Erst durch das Aussprechen ihres Namens wird sie seiner voll bewusst! Auch im Johannes-Evangelium kommt es Maria zu, den Jüngern kundzutun, was sich zugetragen hatte. Am Abend desselben Tages trat der Auferstandene in ihre Mitte, sprach den Friedenssegen und spendete damit wie anfänglich den heiligen Geist. Die Jünger waren fortan aufgerufen, die Menschheit bei der Heilung der Sündenkrankheit zu unterstützen. Der Jünger Thomas war nicht bei der ersten Erscheinung unter den Jüngern. Nach den Erlebnisberichten wollte er selbst sehen, ob es Jesus sei, der den Auferstehungsleib an sich trägt. So war es für ihn eine besondere Seelenwandlung und Seelensicherheit, als er schließlich sagen konnte: »Mein Herr und mein Gott.« Es sind dies fortwährende Gesten des Auferstandenen, die zum »Komm und sieh« einladen.

 

Am Ende des Johannes-Evangeliums ist es Petrus, der nach Zuspruch seines Auftrags erfährt, dass er als junger Mensch dorthin gewandelt ist, wohin er wollte. Mit seiner nochmaligen Berufung wird deutlich, wie eine Schicksalsführung in sein Leben eingreifen wird. Dies ist nicht immer der Weg, den man selbst im Blick hatte oder den man sich erdenkt, sondern das Hören und Schauen eines höheren Willens, in den es einzustimmen gilt und der einen zur Verwandlung führt.