Der Himmel – offen und unerreichbar

AutorIn: Karl Schultz

Ganz anders als uns war es den Generationen vor uns gegeben, in den Dingen, die unser leibliches Auge sieht, zugleich die Geheimnisse der göttlich-geistlichen Welt zu schauen und anzuschauen. Für sie war der Himmel ein aufgeschlagenes Buch. So war ihnen das Himmelsgewölbe samt allen Gestirnen nicht nur ein »oberer Raum« über dieser Erde, sondern zugleich das feierliche Bild für die »Wohnung« Gottes, der geheimnisvolle Quellort aller wirkenden Kräfte, von dem her alles das »kommt«, was das Schicksal des Menschen webt und wandelt.

Mir steht heute ein besonderes Schicksal vor Augen, das einer liebenswerten Schriftstellerin aus Lettland: Zenta Mauriņa (1897 – 1978). Von ihr konnte man sagen: Sie unterhielt nicht nur ihre Leserinnen und Leser, sondern zeigte ihnen zugleich einen Weg aus so manchem Wirrwarr, in das man auf seinen irdischen Wegen so schnell hineingeraten kann. Ihr ganzes Leben war sie an den Rollstuhl gebunden. Ihr tiefer Glaube jedoch ließ sie all ihre Behinderungen und die damit nicht selten verbundenen mitmenschlichen Unhöflichkeiten und Lieblosigkeiten ertragen. »Was hat mein Unglück, mein Leid zu sagen, wenn ich die Kraft habe, glücklich zu sein? … Die selbstgewählte Last werde ich tragen, untragbar ist nur die von fremder Hand aufgezwungene Last ...« Als kostbares Testament ihrer letzten Lebensjahre hinterließ sie ein Bündel von Aufzeichnungen. Sie wurden unter dem Titel veröffentlicht: »Meine Wurzeln sind im Himmel.« Dieses Wort ist ein starkes Zeugnis, vor allem aber zeigt es einen Menschen, der nicht leben könnte, wenn es nicht außer der Luft dieser Welt auch noch eine andere Luft zu atmen gäbe, wenn nicht außer der Erde auch der Himmel bestünde und wenn es außer der Schwerkraft nicht auch die Fliehkraft gäbe.

Die Verwurzelung im Himmel, die Zenta Mauriņa gefasst und voller Mut dem Ende ihres Lebens entgegengehen ließ, erinnert uns zudem an ein Gesetz, das unserem Leben tief eingeschrieben ist: Immer kommen wir dorthin, wohin wir schauen. Wer nach oben schaut, den zieht es nach oben, der sieht den Himmel offen. Wer nach unten schaut, den zieht es nach unten, für den ist der Himmel unerreichbar. Denn das Gute kommt nicht von »unten« aus der Kausalreihe innerweltlicher Zusammenhänge, sondern von »oben«, aus dem Himmel, der uns offen steht. Darum ist der Himmel zugleich der geheimnisvolle Ort, wo das jetzt schon Gegenwart ist, was als »Zukunft« auf uns wartet, »die himmlische Stadt«, der wir entgegen wandern. »Der Himmel – offen und unerreichbar«, wir haben die Wahl.